Wie die Madonna auf den Mond kam
Wertvollste für jeden Fotografen. Und meinem Chef sind die Negative sogar heilig. Man kann davon jederzeit unbegrenzt viele Fotoabzüge herstellen. Auch wenn das fast nie vom Kunden in Anspruch genommen wird.«
»Und was macht ihr mit den Negativen, wenn sie doch nicht gebraucht werden?«
»Sammeln und archivieren. Nebenan ist der Archivraum.
Wir nennen ihn spöttisch >den Tabernakel<, Herrn Hofmanns Allerheiligstes. Da lagern Tausende von Negativen. Alle in Ordnern, hübsch abgeheftet und sauber beschriftet. Sonst findest du nichts wieder. Kann ja sein, dass du in zwanzig Jahren selber Enkel hast und ihnen gern ein Bild aus deiner Jugend schenken möchtest. Als schicker junger Herr mit Schlips und Kragen.«
Irina lachte schon wieder aus vollem Herzen. Ich musste mich zwingen, sie nicht allzu nett zu finden.
»Jetzt habe ich dir so viel erzählt und kenne nicht einmal deinen Namen. Wie heißt du eigentlich?«
»Pavel. Pavel Botev. Mein Großvater heißt Ilja. Mein Vater lebt leider nicht mehr.«
»Pavel Botev. Schön. Dein Name gefällt mir.«
»Und du? Bist du schon verheiratet? Hast du schon Kinder?«
Irina schaute mich an, ernst. »Nein, ich bin erst verlobt. Aber ich wünsche mir Kinder. Sehr sogar. Aber erst die Hochzeit.«
Ich legte meinen ganzen Mut in die Frage: »Darf man wissen, wer dein glücklicher Ehemann sein wird?«
»Natürlich darfst du fragen. Aber ich möchte es noch nicht verraten. Meine Mutter hat immer gesagt, posaunt wird erst, wenn die Glocken läuten, nicht, wenn das Brautkleid im Schrank hängt. Nur so viel. Er arbeitet sehr häufig mit meinem Chef Herrn Hofmann zusammen.«
Ich biss mir auf die Zunge, um nicht aufzuschreien. Am liebsten hätte ich sie ganz fest an mich gedrückt und ihr gesagt: Lass es! Tu es nicht. Geh wieder zurück in die Hauptstadt. Vergiss diesen Mann. Vergiss ihn für den Rest deines Lebens. Stattdessen rutschte mir der Name heraus.
»Es ist Doktor Stephanescu. Nicht wahr?«
Irina starrte mich kopfschüttelnd an. Dann brach sie in belustigtes Gelächter aus, das mich vollkommen irritierte.
»Sag mal, bist du verrückt? Wie kommst du denn auf unseren Parteichef? Der ist mir viel zu alt. Der könnte mein Vater sein. Aber mein verlobter kennt Herrn Stephanescu gut. Sehr gut sogar. Sie gehen oft zusammen essen. Im Goldenen Stern. Gemeinsam mit meinem Chef. Wenn du mir versprichst, es für dich zu behalten ... «
»Ich verspreche es. Mein Ehrenwort.« »Er heißt Lupu. Lupu Raducanu.«
Oben im Ladenstudio saß Großvater auf dem Kundensofa und war eingenickt. Ich rüttelte ihn. »Opa, wir sind fertig. Du musst bezahlen.«
»Lasst euer Geld stecken«, sagte Irina. »Hat mir Spaß gemacht mit euch beiden. An den Passbildern verdient Herr Hofmann sowieso fast nichts. Das weiß ich genau. Diesen Dienst können wir nur anbieten, weil durch die Aufträge von der Partei genug in die Kasse fließt. Aber ich will nichts gesagt haben.«
»Aber wir wollen trotzdem bezahlen. Wie jeder andere auch.« Mit quälend schlechtem Gewissen versuchte ich, meine Beziehung zu Irina wieder auf eine geschäftliche Ebene zu bringen.
»Willst du mich beleidigen? Darfst du nur nicht Herrn Hofmann stecken, wenn er dir in der Stadt über den Weg läuft.«
Draußen auf dem Marktplatz fühlte ich mich schmutzig.
Die Gutgläubigkeit Irina Lupescus tat weh. Und ich hatte sie ausgenutzt, kalt und berechnend. Doch was hätte ich tun sollen? Stephanescu würde nicht stürzen, so wie Angela Barbulescu es prophezeit hatte. Stephanescu musste gestürzt werden. Und wenn etwas diesen Mann zu Fall bringen konnte, dann lag es in dem Kellerarchiv des Fotografenmeisters Hofmann.
Da wir erst am nächsten Morgen neue Ausweise erhalten würden, um den Kontrakt mit der staatlichen Handelsorganisation zu unterzeichnen, ließ sich nicht vermeiden, die Nacht in der Bezirksstadt zu verbringen. Wir gingen zurück zum Gelände des HO-Konsum Kronauburg, fanden aber das Tor mit einem schweren Kettenschloss zugesperrt. Sofort sprangen zwei angriffswütige Schäferhunde an dem Gitterzaun hoch.
»Die Hossu-Brüder hatten keine Köter und auch abends noch geöffnet«, argwöhnte Ilja. Wir zogen weiter zum Pofta Buna, gaben dem Wirt ein paar kleine Scheine, damit er über Nacht ein Auge auf unsere Kutsche und den Braunen warf.
»Ich habe noch nie in einem Hotel geschlafen. Du doch bestimmt auch nicht? «, sagte ich.
Großvater tat so, als gelte es nachzudenken. »Ich kann mich momentan nicht erinnern. Aber
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