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Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Bauerdick
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rotieren.
    Als ich mich endlich räusperte und einen Guten Morgen wünschte, gaben sie auf.
    »Na, Dimitru, willst du dir vom Sputnik den Verstand rauben lassen? «, lästerte ich.
    »Spotte nur, Pavel. Selig sind, die nicht sehen und hören und dennoch glauben. Lass dir versichert sein, er piept. Evidentamente. Nur wir hören ihn nicht.«
    »Kein Wunder«, heuchelte ich. »Der Novembernebel, der schluckt alles. Man hört gar nichts. Nicht das Blöken der Kälber, nicht einmal das Krähen der Hähne. Schon gar nicht den Sputnik, der ziemlich weit weg ist. Jenseits der Schwerkraft, soweit ich weiß.«
    »Pavel! Welch ein Gedanke! Wohl wahr, bei Nebel taugt der Sputnik nicht. Daran hat der Oberste Genosse nicht gedacht. Unter uns, bei Lichte besehen, war Stalin ein ziemlicher Idiot. Aber erzählt es nicht herum. Das gibt Ärger in diesen Zeiten. Und nun verzeiht, mein Bett ruft.«
    Großvater schaute etwas verlegen. Es war ihm unangenehm, dass ich ihn an seinem fünfundfünfzigsten Geburtstag mit einem Trichter am Ohr vor der Ladentür erwischt hatte. »Pavel, bring Dimitru nach Hause. Sonst bricht er sich noch das Genick. Man sieht ja die Hand vor Augen nicht.« Missmutig tastete ich mich mit Dimitru zum unteren Ende des Dorfes, wo seine Sippe wohnte. Vor der Schwelle zu seiner Hütte legte er noch einmal die Hand ans Ohr und lauschte.
    »Lass es, Dimitru. Es hat keinen Zweck.«
    »Sic est. Du hast recht«, sagte er, bedankte sich für die Begleitung und verschwand.
    Ob es Zufall war - keine Ahnung, aber just auf dem Weg zurück ins Dorf setzte das Krähen der Hähne ein, und gegenüber der Siedlung der Zigeuner schimmerte ein mattes Licht durch den Nebel. Zum zweiten Mal an diesem frühen Morgen ließ ich mich von meiner Neugier treiben. Das Licht leuchtete aus der Wohnkate der Dorflehrerin Angela Barbulescu. Und das um diese Uhrzeit. Die »Barbu«, wie sie gerufen wurde, schlief sonst immer bis in die Puppen. Selten erschien sie pünktlich zum Unterricht, und wenn sie vor der Klasse stand, stierte sie oft aus verquollenen Augen, weil der Gebrannte vom Abend zuvor noch nachwirkte. Ich wich vom Weg ab und spähte durch das Fenster. Sie saß am Küchentisch, eine wärmende Wolldecke um die Schultern. Unglaublich! Sie saß da und schrieb. Manchmal hob sie den Kopf und schaute zur Decke, als suche sie nach treffenden Worten. Weit mehr als der Umstand, dass die Barbu zur Unzeit anscheinend etwas Wichtiges zu Papier brachte, erstaunte mich ihr Gesicht. Während der letzten Schuljahre war sie mir zuwider geworden, nie schaute ich sie anders an als mit Verachtung, wenn nicht mit Abscheu.
    Doch die Barbu, die ich am frühen Morgen des 6. November 1957 sah, war anders. Sie war hell und klar. Schön gar. Eines nicht allzu fernen Tages sollte ich verstehen, was an diesem Morgen in der Kate der Angela Barbulescu geschah. Und ich sollte in einen Abgrund stürzen. Aber wie konnte ich das an diesem trüben Novembermorgen ahnen?
    »Pavel, du wirst Kathalina doch wohl nichts von dieser dummen Idee mit dem Trichter erzählen? Deine Mutter mag solche Späße nicht.«
    »Ich habe nichts gesehen. Schon gar nicht an deinem Geburtstag. Ehrenwort.«
    Großvater fiel ein Stein vom Herzen, woraufhin ich ihm die Hand schüttelte, ihm zum Fünfundfünfzigsten gratulierte und ihm ein Päckchen in rotem Glanzpapier überreichte.
    Wie jedes Jahr hatte meine Mutter und Opas Schwiegertochter den postboten Adamski gebeten, aus der Bezirksstadt Kronauburg eine Kiste Zigarren mitzubringen. Ilja schnürte sein Geschenk auf, wohl wissend, gleich eine sechziger Holzschachtel mit daumendicken Caballeros fino in den Händen zu halten. Die Anzahl der Zigarren fügte sich exakt in Großvaters System seiner Rauchgewohnheiten. Und das war auf die Dauer eines Jahres angelegt. Die sechzig Stück langten genau für eine Zigarre am Sonntag, je eine zum Kirchweihfest zu Mariä Himmelfahrt im August, dem Fest der Schutzpatronin von Baia Luna, der Jungfrau vom Ewigen Trost, sowie für zwei, drei weitere Feiertage. Zählte er noch die Geburtstage seiner engsten Freunde hinzu, und kalkulierte er die Doppelung ein, dass eventuell der eine oder andere kirchliche oder weltliche Festtag wie Allerheiligen, die Christnacht oder der Tag der Republik auf einen Sonntag fielen, so ergab es sich wie von selbst, dass eine letzte Caballero zu seinem Geburtstag übrig blieb, bevor er die neue Kiste anbrechen musste.
    Ilja bedankte sich bei mir und entschied entgegen seiner Gewohnheit,

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