Wie Feuer und Eis - On Thin Ice
einen Beinbruch zugefügt. Derek hatte eine gesunde, Furcht einflößend realistische Vorstellung davon, wie lange Lily unter diesen Schneemassen überleben konnte.
»Lily?«
Er arbeitete sich vor, prüfte die Textur des Schnees, der sie und den Schlitten bedeckte. Leicht und flaumig. Sie hatte eine höhere Überlebenschance, weil sie Luft bekam. Schwerer, nasser Schnee, wie es ihn hier gleichfalls gab, konnte zum Erstickungstod führen. Er hatte nicht einmal die Finger bewegen können, als er verschüttet worden war. Es war das erste Mal gewesen, dass ihm seine eigene Sterblichkeit bewusst geworden war.
Und es war, verflucht noch mal, nicht das letzte Mal gewesen.
Er redete weiter auf sie ein, brüllte Unsinn, während er das letzte Stück zurücklegte. Er musste glauben, dass sie ihn hören konnte, stellte sich vor, wie sie ihm schneidend auf alles, was er sagte, Antwort gab.
»Du wirst noch jede Menge Schwierigkeiten kriegen, so wie du mich aufhältst, Lily«, schrie er und suchte nach einem Zeichen, einer Spur von ihr. »Wenn du glaubst, du könntest mich so am Gewinnen hindern, bist du verrückt. Ich rette dich jetzt erst mal, aber dann besiege ich dich.«
Nichts, verdammt noch mal. Nichts. »Ich bin bereit, dir eine halbe Stunde zum Ausruhen zu geben, aber mehr nicht, und dann ist Schluss mit lustig.« Bitte, lieber Gott, lass mich sie finden.
Er musste sie unbedingt schnell finden. Die meisten Lawinenopfer hielten unter dem Schnee noch dreißig Minuten durch, bevor … »Antworte mir, verdammt!«
»Vielleicht würde ich das ja, wenn du nur lange genug mit dem Gequassel aufhören würdest!«, ertönte Lilys erstickte, verärgerte Stimme in seinem Ohr.
Die Erleichterung war wie eine Droge. Sie flutete seine Adern, ließ ihm den Kopf schwirren und sein Herz vor Freude bis zum Hals schlagen. »Das ist mein Mädchen.«
»Bla, bla, bla.« Ihre Stimme war kaum hörbar, aber wütend.
»Hol mich hier raus, ja. Ich friere mir sonst noch den … Mir ist so ka... Derek?« Die gespielte Tapferkeit schwand aus ihrer Stimme. »Bitte. Mach schnell.«
Für eine Kälte wie diese stand kein passendes Wort im Wörterbuch. Sie brannte und biss, krallte sich in ihre Haut; sie kroch durch jeden Saum, jedes Knopfloch, jeden Riss, bis sie so heftig zitterte, dass sie nicht mehr sagen konnte, ob sie selbst es war, die sich bewegte, oder ob der Schlitten mit ihr und den Hunden auf einen spektakulären Tod in der Schlucht zustürzte. Irgendwie hatte sie es geschafft, im Fallen den Ellenbogen über die Nase zu schieben, so dass sie wenigstens atmen konnte. Aber es war unerbittlich schwarz und kalt wie in einem Grab - Oh, verdammt. Lass mich nicht dahingehen.
»Nicht bewegen, okay?«, rief sie den unsichtbaren Hunden zu. Melba winselte. Dingbat war wirr wie immer und kläffte sein Ich-habe-keine-Ahnung-was-hier-los-ist-Bellen. »Wir kommen aus diesem Schlamassel wieder raus«, schwor sie den Hunden, entsetzt, dass sie den Rest des Gespanns nicht hören konnte. »Und wir machen Derek und seinem Gespann die Hölle heiß, verstanden?« Sie hoffte, der Satz würde nicht unter der Rubrik »Berühmte letzte Worte« in die Geschichte eingehen.
»Verschwende nicht so viel Luft mit Reden«, sprach Derek nun ruhig in ihr Ohr. »Bis auf dich und die Wheel Dogs sind alle in Sicherheit. Halte dich fest. Ich weiß, wo du bist. Ich habe dich in ein paar Minuten draußen.«
Ihr rechter Arm lag fest an ihrer Seite, der linke über dem Gesicht. Da ihr das Blut nicht im Kopf pochte, vermutete sie, dass sie nicht kopfüber hing wie eine verschreckte Fledermaus in einer schwarzen Eishöhle. Sie wackelte mit den Fingern der rechten Hand. Siehst du?, dachte sie optimistisch. So schlimm ist es gar nicht.
Sie nahm all ihre Kraft zusammen und riss den rechten Arm nach oben. Er bewegte sich ungefähr drei Zentimeter. Er hatte keinen Sinn, die Zeit mit Angsthaben zu verschwenden. Dazu war später noch genug Zeit. Sie musste Derek helfen, sie und die Hunde zu retten. Oh, Gott! Die armen Hunde. Melba hatte schon einiges mitgemacht, sie schaffte das schon. Aber Dingbat musste ein zitterndes Häuflein Angst sein.
»Verdammt.« Sie versuchte erneut, den Arm zu bewegen. Er bewegte sich ein paar Zentimeter nach oben. »Haltet durch, meine Süßen. Es sieht gut au... Ah!«
Der Schlitten, die Hunde, der Schnee... und sie , alles rutschte nach unten. Rückwärts.
Die Hunde jaulten panisch.
Sie auch.
Ihr Herz hüpfte in den Hals und flatterte dort wie ein
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