Wie funktioniert die Welt?
eine UR (Speichelproduktion); wird ein CS (das Geräusch der näher kommenden Fütterungsperson) vor dem UCS präsentiert, löst er bald auch allein die Reaktion aus, eine CR (Speichelproduktion).
Aus diesem einfachen Vorgang erwächst eine ganze Reihe eleganter Erklärungen, die der Intuition widersprechen.
Betrachten wir beispielsweise den unbeabsichtigten Tod durch eine Drogenüberdosis. Rauschgiftkonsumenten nehmen ihre Droge meist in einem ganz bestimmten Umfeld zu sich, beispielsweise in ihrem Badezimmer. Anfangs ist dieses Umfeld ein neutraler Reiz, aber wenn jemand dort ein paar Mal das Rauschgift genommen hat, übernimmt das Badezimmer die Funktion eines CS : Sobald der Konsument das Badezimmer mit Drogen betritt, reagiert sein Körper auf das Umfeld und bereitet sich auf die Drogenzufuhr vor. Bestimmte physiologische Reaktionen versetzen den Organismus in die Lage, mit der Droge fertig zu werden, und diese Reaktionen werden auf das Badezimmer konditioniert (mit anderen Worten, die Reaktionen werden zu einem CR ). Um sich einen ausreichend starken Rausch zu verschaffen, muss der Konsument so viel von der Droge einnehmen, dass die vorbereitende Reaktion des Organismus überwunden wird. Nimmt er nun die Droge aber in einem anderen Umfeld, beispielsweise auf einer Party im Schlafzimmer einer Freundin, setzt die CR nicht ein – das heißt, die übliche physiologische Vorbereitung auf die Droge findet nicht statt. Die übliche Drogendosis erzielt also eine viel stärkere Wirkung, und die ist unter Umständen so stark, dass der Konsument sie ohne die vorherige Bereitschaft seines Organismus nicht vertragen kann. Obwohl also die klassische Konditionierung zur Erklärung ganz anderer Phänomene formuliert wurde, kann man mit ihrer Hilfe auch erklären, warum es immer wieder zu einer übermäßigen Drogenwirkung kommt, wenn die übliche Dosis in einem neuen Umfeld eingenommen wird.
Nach dem gleichen Prinzip spielt klassische Konditionierung auch für den Placeboeffekt eine Rolle: Schmerzmittel wie Aspirin oder Ibuprofen, die von vielen Menschen regelmäßig eingenommen werden, entfalten ihre Wirkung, schon einige Zeit bevor ihre aktiven Bestandteile einen Effekt haben können. Warum? Aufgrund früherer Erfahrungen wird schon der Akt, die betreffende Pille einzunehmen, zu einem CS : Er löst die schmerzlindernden Prozesse aus, die von dem Medikament in Gang gesetzt werden (womit diese Prozesse zu einer CR geworden sind).
Klassische Konditionierung kann auch durch einen eingepflanzten Defibrillator oder Herzschrittmacher erzeugt werden. Wenn das Herz zu schnell schlägt, erhält es von einem solchen Gerät einen elektrischen Schlag, so dass es wieder zu seiner Normalfrequenz zurückkehrt. Wenn die Stärke des Schlages nicht richtig eingestellt ist, kann der Schock sehr unangenehm sein und als UCS wirken, der Angst als UCR auslöst. Da der Schlag nicht immer in der gleichen Umgebung stattfindet, wird er von der betreffenden Person mit zufälligen Umweltaspekten assoziiert, und diese wirken dann als CS . Ist einer dieser Umweltaspekte gegeben, erlebt der Betreffende unter Umständen schwere Angstzustände, weil er auf den möglichen Schock wartet.
Mit dem gleichen Prozess lässt sich auch erklären, warum wir ein bestimmtes Lebensmittel unappetitlich finden, nachdem wir uns einmal damit eine Lebensmittelvergiftung zugezogen haben. Es ist damit zu einem CS geworden, und wenn wir es essen – oder auch nur daran denken, es zu essen –, stellt sich als CR ein Übelkeitsgefühl ein. Wir stellen fest, dass wir das betreffende Lebensmittel meiden, womit eine Nahrungsaversion entstanden ist. Schon das gemeinsame Betrachten von Bildern mit bestimmten Lebensmitteln (beispielsweise Pommes frites) und abstoßenden Fotos (beispielsweise von einem entsetzlich verbrannten Leichnam) kann Einfluss darauf haben, wie reizvoll wir das betreffende Lebensmittel finden.
Pawlows Entdeckung der vorzeitigen Speichelproduktion lässt sich also leicht auf ein breites Spektrum von Phänomenen übertragen. Vor diesem Hintergrund sollte man allerdings darauf hinweisen, dass er mit seiner ursprünglichen Vorstellung von der klassischen Konditionierung nicht ganz recht hatte. Er glaubte, ein sensorischer Input stehe in unmittelbarer Verbindung zu ganz bestimmten Reaktionen, so dass der Reiz die Reaktion automatisch auslöst. Heute wissen wir, dass es eine derart direkte Verbindung nicht gibt; an der klassischen Konditionierung sind viele
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