Wie funktioniert die Welt?
kontrollierter, konzentrierter Fachkenntnisse in einem bestimmten Bereich.
Natürlich haben die Alten sich immer über die Jungen beklagt. Aber diese Erklärung liefert eine elegante Begründung für die besonderen Widersprüche und Probleme unserer Jugendlichen. Tatsächlich scheint es eine Menge junger Erwachsene zu geben, die ungeheuer schlau sind, viel wissen und doch keine Orientierung haben, die begeistert und überschwänglich sind, sich aber nicht für eine bestimmte Arbeit oder eine bestimmte Liebe engagieren können, bis sie weit über 20 oder sogar über 30 sind. Und es gibt die schwereren Fälle von Kindern, die mit der kompromisslosen Realität des Dranges nach Sex, Macht und Respekt konfrontiert werden, ohne über die Erfahrung und Selbstbeherrschung zu verfügen, die notwendig sind, um sich vor einer Schwangerschaft oder der Begehung von Gewalttaten zu schützen.
Mir gefällt diese Erklärung, weil sie eine Begründung für so viele rätselhafte Alltagsphänomene liefert. Ich mag sie aber auch, weil sie zwei wichtige, häufig übersehene Erkenntnisse über Geist und Gehirn besonders betont. Die eine ist die Tatsache, dass Erfahrung das Gehirn formt. Die Aussage, dass Erfahrungen mit der Kontrolle von Impulsen die Entwicklung des präfrontalen Cortex vorantreiben, trifft eher zu als die Behauptung, die Entwicklung des präfrontalen Cortex versetzte uns besser in die Lage, unsere Impulse unter Kontrolle zu halten.
Und zweitens wird zunehmend deutlich, dass die Entwicklung von entscheidender Bedeutung ist, wenn man das Wesen des Menschen erklären will. Nach dem alten Bild der Evolutionspsychologie sollte eine geringe Anzahl von Genen – ein »Modul« – unmittelbar für bestimmte Verhaltensmuster von Erwachsenen verantwortlich sein. Mittlerweile deutet jedoch immer mehr darauf hin, dass Gene nur der erste Schritt eines komplizierten Entwicklungsablaufs sind, der aus einer Lawine von Wechselbeziehungen zwischen Lebewesen und Umwelt besteht; solche Entwicklungsprozesse geben dem Gehirn des Erwachsenen seine Gestalt. Selbst kleine Veränderungen im zeitlichen Ablauf der Entwicklung können dazu führen, dass wir zu einem ganz anderen Menschen werden.
Stephen M. Kosslyn und Robin Rosenberg
Folgerungen aus der großen Entdeckung von Iwan Pawlow
S.M. Kosslyn ist Psychologe; Direktor des Center for Advanced Study in the Behavioral Sciences, Stanford University R. Rosenberg ist Klinischer Psychologe; Autor von What’s the Matter with Batman?
Dass Politiker etwas dagegen einzuwenden haben, wenn staatliche Mittel in die Untersuchung der Speichelproduktion von Hunden gesteckt werden, kann man sich leicht vorstellen. In Wirklichkeit wäre aber die Weigerung, solche Forschungsarbeiten zu finanzieren, sehr kurzsichtig gewesen. Im Rahmen seiner mit dem Nobelpreis gekrönten Erforschung der Verdauung maß der große russische Physiologe Iwan Pawlow ( 1849 – 1936 ), wie viel Speichel Hunde produzieren, wenn man ihnen etwas zu fressen gibt. Im Laufe dieser Arbeiten fiel ihm und seinen Kollegen etwas Überraschendes auf: Die Hunde produzierten bereits Speichel, lange bevor sie gefüttert wurden. Es geschah schon dann, wenn sie die näher kommenden Schritte der Person hörten, die zur Fütterung zu ihnen kam. Diese wichtige Beobachtung führte zur Entdeckung der klassischen Konditionierung.
Hinter der klassischen Konditionierung steht der Grundgedanke, dass ein neutraler Reiz (beispielsweise das Geräusch näher kommender Schritte) mit einem zweiten Reiz (der Nahrung) gekoppelt ist, der reflexhaft eine Reaktion (die Speichelproduktion) auslöst – nach einer gewissen Zeit reicht dann der neutrale Reiz allein aus, um die von dem zugehörigen Reiz erzeugte reflexhafte Reaktion auszulösen. Um uns das Phänomen klarzumachen, müssen wir ein paar Worte über die Fachsprache verlieren. Der neutrale Reiz wird »konditioniert« und heißt deshalb konditionierter Reiz (
conditioned stimulus,
CS ); dagegen wird der Reiz, der die reflexhafte Reaktion auslöst, als unkonditionierter Reiz (
unconditioned stimulus,
UCS ) bezeichnet. Die vom UCS hervorgerufene Reaktion wird als unkonditionierte Reaktion ( UR ) bezeichnet. Klassische Konditionierung findet statt, wenn der CS kurz vor einem UCS präsentiert wird, so dass der CS nach einiger Zeit auch allein die Reaktion auslöst. Wenn dies geschieht, spricht man von einer konditionierten Reaktion ( CR ). Kurz gesagt, verursacht anfangs ein UCS (beispielsweise Futter)
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