Wie funktioniert die Welt?
Empfindung zu erleben. Und das wichtigste Ziel besteht für Jugendliche darin, den Respekt der Gleichaltrigen zu gewinnen. Wie wir in jüngster Zeit durch Studien erfahren haben, sind Jugendliche nicht deshalb übermütig, weil sie Risiken unterschätzen, sondern weil sie die Belohnung – insbesondere im zwischenmenschlichen Bereich – überschätzen; genauer gesagt, finden sie eine solche Belohnung lohnender als Erwachsene. Man denke nur an die unvergleichliche Heftigkeit der ersten Liebe, den unwiederbringlichen Glanz einer Basketball-Schulmeisterschaft. In der Jugend will man etwas, im mittleren Alter will man, dass man etwas will.
Das zweite System hat eine Kontrollfunktion und kann die ganze überschießende Energie kanalisieren und nutzbar machen. Der präfrontale Cortex bemüht sich darum, andere Teile des Gehirns zu lenken und zu steuern. Dieses System hemmt Impulse und dient als Leitfaden bei der Entscheidungsfindung. Es ist viel stärker als das Motivationssystem auf das Lernen angewiesen. Man lernt, bessere Entscheidungen zu treffen, indem man weniger gute Entscheidungen trifft und später korrigiert. Man lernt zu planen, indem man Pläne macht und umsetzt, um die Ergebnisse dann immer wieder zu überprüfen. Kenntnisse erwachsen aus Erfahrung.
In der entfernten Evolutionsvergangenheit – und sogar auch in der jüngeren historischen Vergangenheit – funktionierten diese Systeme im Einklang. Die Erziehung in der Kindheit bestand zum größten Teil aus formeller und formloser Ausbildung. Kinder hatten zahlreiche Gelegenheiten, schon frühzeitig die Fähigkeiten einzuüben, die sie als Erwachsene zum Erreichen ihrer Ziele brauchen würden, und so zu fachkundigen Planern und Machern zu werden. Um zu einem guten Sammler oder Jäger, zum Koch oder Fürsorger heranzuwachsen, übte man tatsächlich in der gesamten mittleren Kindheit und frühen Pubertät das Sammeln, Jagen, Kochen oder die Versorgung von Kindern – womit die Verdrahtung im präfrontalen Cortex, die man als Erwachsener brauchen würde, abgestimmt wurde. All das tat man aber unter fachkundiger Aufsicht durch Erwachsene und in der geschützten Welt der Kindheit, in der die Folgen der unvermeidlichen Fehlschläge abgemildert wurden. Kam dann der Motivationsschub der Pubertät hinzu, war man in der Lage, mit neuer Energie und Überschwang nach echten Belohnungen zu streben, man besaß aber auch die Fähigkeit und Selbstbeherrschung, um dies effektiv und einigermaßen gefahrlos zu tun.
Im Leben unserer Zeit jedoch hat sich die Beziehung zwischen den beiden Systemen gewandelt. Aus ein wenig rätselhaften, höchstwahrscheinlich aber biologischen Gründen setzt die Pubertät in immer jüngerem Alter ein. (Die derzeit führende Theorie verweist auf Veränderungen im Energiehaushalt, weil Kinder mehr essen und sich weniger bewegen.) Und damit wird auch das Motivationssystem immer früher aktiv.
Gleichzeitig sammeln Kinder heute immer weniger Erfahrungen mit den Aufgaben, die sie als Erwachsene ausführen müssen. Sie haben immer seltener Gelegenheit, grundlegende Fähigkeiten wie Kochen oder Kinderversorgung einzuüben. Eigentlich haben Jugendliche heute häufig nicht viel mehr zu tun, als zur Schule zu gehen. Das Erlebnis, sich in Echtzeit in der echten Welt um das Erreichen eines echten Ziels zu bemühen, wird immer weiter hinausgeschoben, aber gerade von solchen Erlebnissen hängt die Entwicklung des Steuerungssystems ab. Für das Ergebnis hat der Entwicklungspsychologe Ron Dahl eine hübsche Metapher: Jugendliche entwickeln das Gaspedal, lange bevor sie über ein Lenkrad und Bremsen verfügen.
Das heißt nicht, dass Jugendliche heute dümmer wären als früher; in vielerlei Hinsicht sind sie wesentlich klüger. Manches spricht sogar dafür, dass eine verzögerte Entwicklung des frontalen Cortex mit einem höheren Intelligenzquotienten gekoppelt ist. Die zunehmende Bedeutung des Schulbesuchs hatte zur Folge, dass Kinder heute über viele Themen mehr wissen als jemals in den Zeiten der formlosen Ausbildung. Wenn man ein guter Koch werden wollte, erfuhr man nichts über die Evolution des Werkzeuggebrauchs oder über die Zusammensetzung von Natriumchlorid – solche Dinge lernt man in der Schule. Man kann aber auch auf andere Weise schlau sein; Kenntnisse über Geschichte oder Chemie helfen nicht bei der Zubereitung eines Soufflés. Weitgefasstes, flexibles, breitangelegtes Lernen behindert unter Umständen die Entwicklung fein abgestimmter,
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