Wie funktioniert die Welt?
hat, zugeschnitten sind … Bilder einer schlimmeren Katastrophe kommen uns nicht ohne weiteres in den Sinn.« [48] Im Ägypten der Pharaonen zum Beispiel hielten Schreiber die Hochwassermarken des Nils fest und nutzten sie als Worst-Case-Szenario. Kein Wirtschaftswissenschaftler ist der naheliegenden Frage nachgegangen: Kommen Extremereignisse so über uns wie in der Vergangenheit? Leider sagt die rückblickende Betrachtung: »Nein, tut mir leid.«
Die gleiche gefährliche Fahrlässigkeit beobachtet man in den Methoden, die beim Kernreaktor von Fukushima genutzt wurden: Er wurde entsprechend den schlimmsten früheren Ereignissen gebaut, aber dass es noch viel schlimmer kommen könnte, hatte man sich nicht vorgestellt und nicht entsprechend extrapoliert. Die Natur dagegen bereitet sich anders als Risikoingenieure auf Dinge vor, die noch nie geschehen sind, und geht davon aus, dass schlimmere Schäden möglich sind.
Während Menschen also den letzten Krieg führen, führt die Natur den nächsten Krieg. Aber natürlich gibt es für die Überkompensation auch biologische Grenzen.
Diese Form der Redundanz bedient sich weitaus stärker der Extrapolation als unser Geist, der mit Intrapolationen arbeitet.
Der große Benoît Mandelbrot, der jetzt seit zwei Jahren tot ist, erkannte in der Natur und in der Wahrscheinlichkeit historischer und wirtschaftlicher Vorgänge die gleiche fraktale Selbstähnlichkeit. Zuzusehen, wie die beiden Bereiche heute unter dem Begriff einer fraktalen Redundanz zusammengeführt werden, ist spannend.
P.S.: Das Wort »Fitness«, wie es üblicherweise in wissenschaftlichen Diskussionen verwendet wird, ist offenbar nicht genau genug. Ich konnte nicht herausfinden, ob die sogenannte »darwinistische Fitness« nur eine intrapolierende Anpassung an die derzeitige Umwelt ist oder ob sie auch ein Element der statistischen Extrapolation enthält. Mit anderen Worten: Es besteht ein wichtiger Unterschied zwischen der Robustheit (die durch Stressfaktoren nicht geschädigt wird) und der Antizerbrechlichkeit, wie ich sie genannt habe (die von Stressfaktoren profitiert).
Robert Kurzban
Das schöne Gesetz der unbeabsichtigten Folgen
Außerordentlicher Professor für Evolutionspsychologie, University of Pennsylvania; Direktor, Pennsylvania Laboratory for Experimental Evolutionary Psychology ( PLEEP ); Autor von Why Everyone (Else) is a Hypocrite
Glaubt man dem Fremdenführer auf meiner Fußtour durch das Stadtviertel The Rocks im australischen Sydney, wurde um 1900 , als die Stadt von der Pest heimgesucht wurde, eine Prämie auf Ratten ausgesetzt, damit die Menschen sie töteten; man wusste, dass Ratten die Flöhe tragen, die dann die Krankheit an Menschen weitergeben. Der Zweck der Prämie war klar: Durch eine Dezimierung der Ratten wollte man die Ausbreitung der Seuche eindämmen. Die Maßnahme hatte aber die unbeabsichtigte Folge, dass die Bewohner, ermutigt durch die Prämie, nun Ratten züchteten.
Das Gesetz der unbeabsichtigten Folgen wird häufig mit dem amerikanischen Soziologen Robert Merton in Verbindung gebracht, sein allgemeiner Inhalt zeigt sich aber in ganz unterschiedlichen Formen, nicht zuletzt in Adam Smith’ Vorstellung von der unsichtbaren Hand. Irgendwie ist es köstlich in seinem Chaos – als würde die Natur über unsere Bemühungen, sie unter Kontrolle zu bringen, ständig die Nase rümpfen.
Der Grundgedanke ist einfach: Wenn Menschen in Systeme mit vielen beweglichen Teilen – insbesondere in Ökologie und Ökonomie – eingreifen, hat diese Handlung wegen der komplexen Wechselbeziehungen zwischen den Einzelteilen auch Wirkungen, die über den beabsichtigten Effekt hinausgehen, darunter viele, die man nicht vorausgesehen hat oder nicht voraussehen konnte.
Beispiele gibt es in Hülle und Fülle. Kehren wir noch einmal nach Australien zurück: Eines der bekanntesten Beispiele für eine unbeabsichtigte Folge ist der Fall der Kaninchen, die von den ersten Siedlern als Nahrungslieferanten mitgebracht und in die Wildnis entlassen wurden, damit man sie jagen konnte; dies hatte die unbeabsichtigte Folge, dass die Kaninchenpopulation ungeahnte Größen erreichte und unsägliche ökologische Verwüstungen anrichtete. Das wiederum führte zur Entwicklung von Maßnahmen, mit denen man die Kaninchen unter Kontrolle bringen wollte, darunter ein besonders langer Zaun; der wiederum hatte die unbeabsichtigte Folge, dass er drei Mädchen in den 1930 er Jahren den Weg nach Hause wies –
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