Wie funktioniert die Welt?
die allgemeine Relativitätstheorie. Das Prinzip wurde verallgemeinert, indem man »Bewegung in gerader Linie mit konstanter Geschwindigkeit« durch »Bewegung entlang einer Geodäte in der Raumzeit« ersetzte. Die Geodäte ist die Verallgemeinerung einer Geraden in einer gekrümmten Geometrie – sie stellt die kürzeste Entfernung zwischen zwei Punkten dar. Damit lautet das Trägheitsprinzip nun:
Es gibt eine besondere Klasse von Beobachtern, relativ zu denen alle freien Objekte sich entlang von Geodäten durch die Raumzeit zu bewegen scheinen. Diese Beobachter befinden sich in einem Gravitationsfeld im freien Fall.
Daraus folgt die Verallgemeinerung:
Es gibt keine Methode, um Beobachter, die sich im freien Fall befinden, voneinander zu unterscheiden.
Dies wird zu Einsteins Äquivalenzprinzip, dem Kernstück seiner allgemeinen Relativitätstheorie.
Aber stimmt das Trägheitsprinzip überhaupt? Bisher wurde es unter Verhältnissen geprüft, bei denen die Bewegungsenergie eines Teilchens um bis zu elf Zehnerpotenzen größer ist als seine Masse. Das ist recht eindrucksvoll, aber immer noch gibt es eine Menge Spielraum, in dem das Trägheitsprinzip versagen könnte. Nur Experimente können uns Aufschlüsse darüber liefern, ob das Prinzip oder sein Versagen das Kernstück zukünftiger wissenschaftlicher Revolutionen sein wird.
Aber wie die Sache auch ausgehen mag: Es ist in der Naturwissenschaft die einzige Erklärung, die eine derart lange Zeit unbeschadet überstanden hat, sich in einem so breiten Spektrum der Größenordnungen als gültig erweist und zur Anregung für so viele wissenschaftliche Revolutionen geworden ist.
Eric J. Topol
Sehen heißt glauben: Von Placebos zum Kopfkino
Gary and Mary West Chair of Innovative Medicine und Professor für Genomik der Translation, Scripps Research Institute; Autor von The Creative Destruction of Medicine
Mit seinen 100 Milliarden Neuronen und einer Trillion Synapsen – oder hier und da ein paar Milliarden mehr oder weniger – ist unser Gehirn eines der komplexesten Gebilde, die es zu enträtseln gilt. Das ist vielleicht auch gut so, denn wir würden nicht unbedingt wollen, dass andere unsere Gedanken lesen können – damit würde man den derzeitigen großen Trend in Richtung zu mehr Transparenz entschieden zu weit treiben.
Aber nachdem man mit funktioneller Magnetresonanz (f MRI ) und Positronenemissionstomographie ( PET ) Bilder des Gehirns anfertigen und hochentwickelte Aktivierungskarten erstellen konnte, bestätigt sich auch für Skeptiker der alte Ausspruch »Sehen heißt glauben«. Eine der längsten Kontroversen in der Medizin betraf die Frage, ob es für den Placeboeffekt, ein berüchtigt komplexes Mischprodukt von Geist und Körper, einen echten biologischen Mechanismus gibt. Diese Auseinandersetzung wurde jetzt mit der Erkenntnis beigelegt, dass der Opioid-Signalübertragungsweg, der durch Wirkstoffe wie Morphium und Oxycodon in Gang gesetzt wird, im Gehirn das gleiche Aktivierungsmuster erzeugt wie die Verabreichung von Placebopräparaten zur Schmerzlinderung. Und nachdem man Patienten mit der Parkinson-Krankheit ein Placebo verabreicht hatte, konnte man in ganz bestimmten Gehirnarealen die Ausschüttung von Dopamin beobachten. Diese Höherstufung des Placeboeffekts, der jetzt auch eigenständige, unterscheidbare psychobiologische Mechanismen einschließt, führte sogar zur Erprobung von Placebopräparaten als Therapeutika – an der Harvard University widmet sich seit kurzem ein eigenes Institut mit Projekten wie Program in Placebo Studies und Therapeutic Encounter solchen Fragen.
Die Entschlüsselung des Placeboeffekts ist offenbar ein Schritt auf dem Weg zu dem ehrgeizigeren Ziel des Gedankenlesens. Im Sommer 2011 konstruierte eine Arbeitsgruppe an der University of California in Berkeley durch Rekonstruktion von Aktivierungskarten des Gehirns, die man mit bildgebenden Verfahren gewonnen hatte, eine einigermaßen genaue Reproduktion kurzer YouTube-Filme, die man den Versuchspersonen zuvor gezeigt hatte. [46] Beim Vergleich der Einzelbilder aus dem Film und der Rekonstruktion der Gehirnaktivität war eine Ähnlichkeit zu finden, die anregend und regelrecht gespenstisch war.
Bedenkt man nun noch, dass derzeit kleine, tragbare MRI -Geräte entwickelt werden, so sind wir möglicherweise auf dem Weg in eine Zeit, in der wir unsere Träume morgens auf unserem iPad betrachten können. Oder – noch besorgniserregender – in
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