Wie funktioniert die Welt?
wurden.
Zunächst einmal ist es eine wahrhaft tiefgreifende Theorie: Sie handelt vom Verhalten und den Wechselwirkungen (scheinbar) elementarer Teilchen, der Photonen und Elektronen. Dennoch erklärt sie ein breites Spektrum verschiedener Phänomene, von der Reflexion, Brechung und Streuung des Lichtes bis zu Struktur und dem Verhalten von Elektronen in den Atomen und den davon abhängigen chemischen Eigenschaften. Als Feynman behauptete, die QED erkläre alle Phänomene der Welt »mit Ausnahme von Radioaktivität und Gravitation«, übertrieb er vielleicht ein wenig, aber eben nur ein wenig.
Ich möchte ein kurzes Beispiel nennen. Jeder weiß, dass Licht in gerader Linie wandert – außer wenn es das nicht tut, beispielsweise weil es nicht gerade im rechten Winkel auf Glas oder Wasser trifft. Warum? Feynman erklärt, dass Licht immer den schnellsten Weg von Punkt zu Punkt nimmt, und bedient sich der Analogie eines Lebensretters, der an einem Strand entlangläuft, um einen ertrinkenden Badegast zu retten. (Da es sich um Feynman handelt, ist der Badegast natürlich ein hübsches Mädchen.) Der Rettungsschwimmer könnte auch geradewegs zum Wasser laufen und dann diagonal entlang von der Küste hinaus aufs Meer schwimmen, aber dann würde er zum Schwimmen länger brauchen, und damit wäre er langsamer, als wenn er am Strand entlangläuft. Als Alternative läuft er am Wasser entlang bis zu der Stelle, die der Schwimmerin am nächsten ist, und geht erst dort ins Meer. Aber damit ist die Entfernung insgesamt länger, als sie sein müsste. Wenn er das Mädchen so schnell wie möglich erreichen will, liegt das Optimum irgendwo zwischen diesen beiden Extremen. Auch Licht nimmt den Weg, auf dem es von einem Punkt zum anderen die kürzeste Zeit benötigt; das ist der Grund, warum es gebeugt wird, wenn es von einem Material ins andere übergeht.
Wie Feynman weiter erläutert, ist dies eine unvollständige Sichtweise. Mit Hilfe des sogenannten
Pfadintegrals
(wobei er diesen hässlichen Fachausdruck allerdings vermeidet) erklärt Feynman, dass Licht eigentlich jeden vorstellbaren Weg von einem Punkt zum anderen nimmt, aber die meisten dieser Wege heben sich gegenseitig auf, und unter dem Strich scheint es nur dem Weg zu folgen, der die geringste Zeit benötigt. Damit ist nebenbei auch erklärt, warum Licht (wie alles andere) in gerader Linie wandert, wenn es nicht gestört wird – dies ist ein so grundsätzliches Phänomen, dass sicher nur die wenigsten jemals daran gedacht haben, nach einer Erklärung zu fragen. Auf den ersten Blick mag eine solche Theorie von absurder Überflüssigkeit sein, sie erzielt aber ein sehr willkommenes Ergebnis: Sie vermindert das wissenschaftlich am wenigsten befriedigende Attribut, die Willkürlichkeit, auf ein Minimum.
Meine amateurhaften Bemühungen, Feynmans Erklärung zu komprimieren und mitzuteilen, lassen sie vielleicht weit hergeholt erscheinen. In Wirklichkeit ist es aber gerade ein zweiter Grund zum Staunen, dass sie nahezu unglaublich einfach und intuitiv ist. Sogar ich, ein mathematisch ungebildeter früherer Biologe, konnte nicht nur eine vage Einschätzung mitnehmen, dass ein paar Fachleute irgendwo etwas Neues gefunden hatten, sondern ich war überzeugt, dass ich an dieser neuen Vorstellung von der Realität unmittelbar teilhaben konnte. Ein solches Erlebnis ist in der Wissenschaft allgemein nur allzu selten; in der abstrakten, abstrusen Welt der Quantenphysik ist es sogar so gut wie unbekannt. Die Hauptgründe für die Verständlichkeit waren die visuelle Grammatik (Feynmans berühmte Diagramme) und das fast vollständige Vermeiden harter Mathematik (die Tatsache, dass die Spinvektoren, die einen zentralen Bestandteil der Theorie bilden, in Wirklichkeit komplexe Zahlen wiedergeben, erscheint fast nebensächlich). Die Welt, mit der uns Feynmans Erklärung bekannt macht, ist uns zwar so wenig vertraut, wie es überhaupt nur möglich ist, sie erscheint aber in ihren eigenen bizarren Begriffen vollständig sinnvoll.
Brian Eno
Die Grenzen der Intuition
Künstler; Komponist; Musiker; Aufnahmeleiter: U 2 , Coldplay, Talking Heads, Paul Simon
Manchmal neigen wir zu dem Gedanken, Ideen und Gefühle, die aus unserer Intuition erwachsen, seien von sich aus denen, die wir durch Vernunft und Logik erlangen, überlegen. Intuition – der »Bauch« – wird als der edle Wilde des Geistes vergöttert, der sich furchtlos über die Pedanterie der Vernunft hinwegsetzt. Besonders stark
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