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Wie funktioniert die Welt?

Wie funktioniert die Welt?

Titel: Wie funktioniert die Welt? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Brockman , Herausgegeben von John Brockman
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neigen Künstler, die meist aus Intuition heraus tätig werden, zu solchen Überzeugungen. Eine ganze Reihe von Erfahrungen hat mich jedoch skeptisch gemacht.
    Die erste ist eine Frage, die Wittgenstein seinen Studenten zu stellen pflegte. Sie lautet ungefähr so: Sie haben ein Band, das sie am Äquator um die Erde legen möchten (wobei wir annehmen, dass die Erde eine vollkommene Kugel ist). Leider haben Sie aber das Band ein wenig zu lose geknotet; es ist einen Meter zu lang. Die Frage lautet nun: Angenommen, sie könnten den Spielraum – den zusätzlichen Meter – gleichmäßig um den Planeten verteilen, so dass das Band knapp über der Oberfläche schwebt: Wie groß wäre sein Abstand von der Oberfläche?
    Die meisten Menschen werden von ihrer Intuition zu einer Antwort verleitet, die im Bereich von Millimeterbruchteilen liegt. In Wirklichkeit lautet sie: fast 16  Zentimeter. Nach meiner Erfahrung kommen nur zweierlei Menschen diesem Wert intuitiv nahe: Mathematiker und Schneider. Das finde ich immer wieder erstaunlich. Als ich während meines Kunststudiums davon hörte, verbrachte ich einen ganzen Abend mit Berechnungen und immer neuen Berechnungen – meine Intuition schrie laut, es sei nicht glaubwürdig.
    Wenige Jahre später erlitt meine Intuition im Exploratorium in San Francisco einen weiteren Schock. Dort sah ich zum ersten Mal eine Computervorführung von John Conways
Life
. Wer es nicht kennt: Es handelt sich um ein einfaches Karogitter mit Punkten, die nach einem ebenso einfachen, vollständig deterministischen Regelsystem behandelt werden. Die Regeln entscheiden, welche Punkte im nächsten Schritt überleben, sterben oder geboren werden. Es gibt keine Tricks, keine Kreativität, nur die Regeln. Das ganze System ist so transparent, dass man mit keinerlei Überraschungen rechnen würde, in Wirklichkeit gibt es aber viele: Die Komplexität und das »Organisch-Sein« in der Evolution der Punktemuster entzieht sich jeder Vorhersage. Man verändert am Anfang die Position eines Punkts, und die ganze Geschichte läuft plötzlich völlig anders ab. Man ändert eine Regel nur ein winziges bisschen, und schon folgt eine Wachstumsexplosion oder ein sofortiger Untergang. Man kann (intuitiv) einfach nicht raten, wie es weitergehen wird.
    Diese beiden Beispiele machen für mich auf elegante Weise Folgendes deutlich: (a) »Deterministisch« bedeutet nicht »vorhersehbar«; (b) wir können mit unserer Intuition nicht gut vorhersagen, welche Wechselbeziehungen zwischen einfachen Regeln und Anfangsbedingungen bestehen (im größeren Rahmen geht es darum, dass das menschliche Gehirn vermutlich von seinem Wesen her nur eine begrenzte Fähigkeit besitzt, bestimmte Dinge – beispielsweise Quantenphysik und Wahrscheinlichkeiten – intuitiv zu erfassen); und (c) Intuition ist keine mehr oder weniger mystische Stimme von außerhalb, die durch uns spricht, sondern eine Art schnelle, ungenaue Verarbeitung unserer früheren Erfahrungen (das ist der Grund, warum Schneider es begreifen, wir anderen aber nicht). Dieses Verarbeitungswerkzeug bringt manchmal mit erstaunlicher Geschwindigkeit eindrucksvolle Ergebnisse hervor, wir sollten aber hin und wieder daran denken, dass es auch völlig falschliegen kann.

Lisa Randall
Der Higgs-Mechanismus
    Physikerin, Harvard University; Autorin von Die Vermessung des Universums: Wie die Physik von morgen den letzten Geheimnissen auf der Spur ist
    Das Schöne an der Naturwissenschaft ist – auf lange Sicht – das Fehlen von Subjektivität. Die Frage »Welches ist Ihre tiefgreifende, schöne oder elegante Lieblingserklärung« zu beantworten fällt einem Wissenschaftler unter Umständen schwer, denn die einzigen objektiven Wörter in dieser Frage sind »welches«, »ist«, »oder« und (in einer idealen naturwissenschaftlichen Welt) »Erklärung«. Schönheit und Eleganz spielen in der Wissenschaft zwar eine Rolle, entscheiden aber nicht über Wahrheit. Allerdings muss ich einräumen, dass Einfachheit, die häufig mit Eleganz verwechselt wird, ein nützlicher Wegweiser zu einer möglichst großen Erklärungskraft ist.
    Was die Frage angeht, so möchte ich bei einer Erklärung bleiben, die nach meiner Auffassung äußerst hübsch, relativ einfach (wenn auch subtil) und vielleicht sogar innerhalb des kommenden Jahres zu verifizieren ist. Ich meine den Higgs-Mechanismus, benannt nach dem Physiker Peter Higgs, der ihn entwickelte. Der Higgs-Mechanismus ist vermutlich für die Masse der

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