Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)
aus der ehemaligen SED. Kein Wunder, dass sie bedauerten, den Volksaufstand von 1989 nicht wie den von 1953 niedergeschlagen zu haben. Egal, mit welchen Mitteln.
Eine Lösung à la Peking wäre jedoch im Herbst 1989 sogar von einem gesunden Honecker nicht mehr durchzusetzen gewesen. Die sowjetische Bruderarmee hatte von Staatschef Gorbatschow die strikte Anweisung, sich aus den deutschen Konflikten rauszuhalten. Eh sind die Beziehungen zwischen Moskau und Ostberlin nicht mehr brüderlich, seit neue sowjetische Filme verboten wurden und bereits im November 1988 die Postauslieferung der sowjetischen Reformzeitschrift »Sputnik« eingestellt worden war. Die Begründung ist ein beredtes Beispiel für real existierenden sozialistischen Journalismus: »Wie die Pressestelle des Ministeriums für Post- und Fernmeldewesen mitteilt, ist die Zeitschrift ›Sputnik‹ von der Postzeitungsliste gestrichen worden. Sie bringt keinen Beitrag, der der Festigung der deutsch-sowjetischen Freundschaft dient, stattdessen verzerrende Beiträge zur Geschichte.« Der zuständige Postminister übrigens, ein Mann der Blockpartei CDU, erfuhr aus der Zeitung davon.
Hilfe durch die Sowjetmacht fiel also schon mal aus.
Und die eigene Armee?
Die wartete ab. »Wir dachten ja lange, mag sein, dass überall was passiert, aber niemals in der DDR, und wenn doch, dann rollen die Panzer. Es gab längst auch bei der Nationalen Volksarmee Oppositionelle im höheren Offizierskorps. Andererseits – falls der Verteidigungsminister in der kritischen Phase nicht auf Staatsbesuch in Kuba gewesen wäre, dann hätte es anders ausgehen können,
dann hätte es geknallt. Heinz Kessler wollte die Panzer rollen lassen. Wahrscheinlich hätte ihm allerdings keiner gehorcht«, sagt mir ein ehemaliger hoher Offizier, der in den Jahren seit der Einheit ein florierendes Unternehmen am Rande von Berlin aufgebaut hat. Auch seine Geschichte vom zweiten Leben im vereinten Deutschland ist eine jener typischen Geschichten, die sich erst heute richtig schreiben lassen.
Er wird sie mir später noch erzählen.
Es waren tatsächlich auf Befehl von oben Panzer in Alarmbereitschaft gesetzt worden, doch die zuständigen Befehlshaber vor Ort ignorierten weitergehende Befehle.Von Parteibonzen ließen sie sich mittlerweile nichts mehr befehlen. Die waren in ihren Augen schuld daran, dass auch sie keine Zukunft mehr hatten. Dabei war es 1989 noch gar nicht so lange her, nicht mal zehn Jahre, dass die obersten Genossen davon überzeugt waren, ihre Nationale Volksarmee sei stark genug, jedweden Angriff des Klassenfeindes abzuwehren, und außerdem in der Lage, nötigenfalls das feindliche Territorium West zu besetzen.
Gehört hatte ich mal davon, aber für ein Gerücht unter den vielen Gerüchten gehalten, die es über die SED-Nomenklatur gibt. Abwegig schien mir die These, die hätten tatsächlich glauben können, den Westen des geteilten Vaterlandes zu erobern. So weltfremd konnten selbst die Betonköpfe im Politbüro oder im Ministerrat nicht gewesen sein. Ich suchte nach Belegen, dass es nicht stimmen kann. Erst als ich keine fand, fiel ich vom Glauben ab und begann die Suche nach Dokumenten.
In der Geheimen Verschlusssache GVS-Nr. A 477 145 wird die 61. Sitzung des Nationalen Verteidigungsrates vom 23. Juni 1980 protokolliert und festgehalten, dass die Deponierung eines sogenannten Militärgeldes bereits vollzogen wurde und damit die Voraussetzungen geschaffen worden seien »zur Sicherung der Stabilität der Währung der DDR sowie zur Versorgung der Streitkräfte mit Finanzmitteln auf gegnerischem Territorium«. Der Minister für Nationale Verteidigung wurde beauftragt, »weiter an der komplexen Lösung dieser Problematik zu arbeiten«.
Diese in der Tat komplexe Problematik, die man Kriegsvorbereitung nennen dürfte, ohne als Kalter Krieger zu gelten, trug im Einzelnen der Chef der Finanzökonomie des Ministeriums dem Genossen Vorsitzenden und den Genossen Mitgliedern des Nationalen Verteidigungsrates dann vor, und so abenteuerlich das heute auch anmutet, so überzeugt waren die Genossen offenbar davon, sich auf den Fall der Fälle rechtzeitig vorbereiten zu müssen, dass sie bereits 4,9 Milliarden Mark in fünf Depots der Staatsbank in Berlin, Leipzig, Weimar, Stendal und Bergen eingelagert hatten.
Weiter in dem einst geheimen Text:
»Militärgeld soll bei Handlungen auf gegnerischem Territorium zur finanziellen Sicherstellung von Versorgungsaufgaben und Wehrsoldzahlungen der
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