Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)
nur verächtlich lachen kann: »Als ob der Bürgermeister, also ich, die Zahlen hätte manipulieren können ohne Wissen und Zustimmung der Parteiführung.« Grundsätzlich hätten viele Modrows Haltung falsch interpretiert. »Meistens versteckte er sich hinter einer Leidensmiene und seinem proletarischen Habitus. Man musste bei ihm immer damit rechnen:Wir brechen zu zweit eine Auseinandersetzung vom Zaun, und wenn es gut geht, ist er der Sieger, und wenn es schlecht geht, bin ich der Verlierer. Das ist sein eigentliches Problem, dieses Doppelspiel.« Modrow wird 1993 wegen Wahlmanipulation in drei Fällen und Falschaussage vor dem Sächsischen Landtag zu zehn Monaten Gefängnis verurteilt, die Strafe, wie auch die gegen Berghofer zwei Jahre zuvor, aber zur Bewährung ausgesetzt.
Der ehemalige Oberbürgermeister wirft dem ehemaligen 1. Bezirkssekretär aber vor allem vor, dass er sich als Regierungschef flugs Sündenböcke für den tatsächlichen und den moralischen Staatsbankrott suchte, statt die Schuld der SED einzugestehen und aufzuarbeiten. Da die Partei bekanntlich immer recht hatte, ihre führende Rolle sogar in Artikel 1 der DDR-Verfassung verankert war, durfte sie auf keinen Fall schuldig sein. Mit dem Satz »Genossen, wenn wir die Partei retten wollen, brauchen wir Schuldige« zitiert Berghofer den ehemaligen hohen SED-Funktionär aus einer Sitzung im Großen Haus, an der er teilgenommen hatte, was Modrow wiederum als »platte Fälschung der Geschichte« und als »komplett frei erfunden« kontert.
Auch andere ehemalige Funktionäre sind einander in herzlicher Abneigung verbunden, obwohl sie nicht als Feinde auszumachen sind, weil sie augenscheinlich noch heute gemeinsam die Internationale singen, wenn es sich so ergibt. Genosse Modrow hat es nach dem Erscheinen seiner Memoiren »Ich wollte
ein neues Deutschland« sogar schriftlich bekommen. Denn Generalmajor Willi Opitz, einst Chef der MfS-Juristenhochschule in Potsdam, einer Kaderschmiede des Ministeriums für Staatssicherheit, macht schon in den ersten beiden Zeilen eines Briefes an den nicht mehr lieben Hans seiner Empörung Luft und gesteht, »daß ich über viele Aussagen enttäuscht, ja empört bin. Ich hatte von Dir etwas anderes erwartet, als eine Selbstschutzbiographie … Ich frage mich, wie Du, seit Anfang 1950 in verantwortlichen Positionen stehend, das alles so ausgehalten hast. Von E. Honecker nicht geliebt, von anderen führenden Funktionären mißverstanden, Zweifel an wichtigen Politikfeldern habend, mußtest Du Politik machen. Oder warst Du ein unerkannter Widerstandskämpfer, ein Opfer?« Verhöhnt den SED-Spitzenfunktionär als Schauspieler, der vierzig Jahre lang mit gespaltener Zunge geredet habe, und zitiert Friedrich Engels, wonach diejenige Geschichtsschreibung am besten bezahlt werde, die »im Sinn der Bourgeoisie am besten verfälscht ist«.
Vor allem jedoch verteidigt Opitz die von ihm so geliebte, nun unehrenhaft hingeschiedene Stasi, die Modrow »immer hurtig im Stil einer bestimmten Presse« attackiere, um von der eigenen Verantwortung abzulenken: »... Dir ins Stammbuch: es gab zu keiner Zeit eine führende Rolle des MfS. Es gab in der DDR die verfassungsmäßig verankerte führende Rolle der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei. Die Sicherheitspolitik wurde nicht vordergründig vom MfS, sondern von der Parteiführung bestimmt, der Du über 20 Jahre angehört hast.« Der Briefschreiber Opitz, noch 1998 ein ungebrochener Verehrer seines ehemaligen obersten Chefs Erich Mielke, schickte seine trotz Funktionärsdeutsch verständliche Empörung an den Vorstand der PDS, deren Ehrenvorsitzender Modrow damals war
Modrow hält Berghofer, und ist sich dabei wieder einig mit den ihn attackierenden Altkadern, für einen Verräter der Arbeiterklasse. Viele der ehemaligen Genossen hassen Berghofer, der ja lange Zeit auch ein treuer Diener des Systems war, Karriere machte, bis er sich spät nicht nur lossagte, sondern sich ohne
Wenn und Aber zu seiner persönlichen Mitschuld bekannte. Mit dem Hass dieser Ehemaligen kann er leben: »Darum sind sie so fit, auch im Alter, weil Hass sie aufrecht hält.« Seit jenen Zeiten, in denen sie verfolgt wurden und im KZ saßen, würden sie Kraft aus dem Hass auf die daran Schuldigen schöpfen. Damals waren es die Faschisten, ihr Hass war begründbar und verständlich. Jetzt seien es die Eroberer aus dem Westen und die mit den Kapitalisten vereinten ehemaligen Parteifreunde
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