Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)
oder der Blockparteien angekreuzt haben dürften, aber das dürfte wohl doch übertrieben sein. Berghofer ergänzt: »Wahlen galten in der DDR nach altem stalinistischen Vorbild immer als eine Art heiliger Akt zur Bestätigung der unumschränkten Zustimmung des Volkes für die Politik von Partei und Regierung.« Dazu passt einer der vielen Witze, die damals in der DDR kursierten: Ein Genosse fragt
den anderen: Hast du schon gehört? Im Sekretariat des Zentralkomitees ist gestern eingebrochen worden. Und? Was haben sie mitgenommen? Nichts Besonderes. Nur die Wahlergebnisse vom nächsten Jahr.
Im Herbst 1989 schien Hans Modrow im Vergleich mit gleichrangigen Genossen aber flexibel, undogmatisch, lernfähig. Was unter seinesgleichen Misstrauen erzeugte. Bei denen galt er als Glasnost-Sympathisant, als vorsichtiger Anhänger der von Gorbatschow zur offiziellen Politik erhobenen Doktrin der Perestroika. Im orthodoxen SED-Staat hätte eine Abweichung von der Parteilinie früher zu unliebsamen Konsequenzen geführt. Modrow rechnete wohl auch damit, nachdem im Januar hundert aus Berlin nach Dresden geschickte Parteifunktionäre eine Art Betriebsprüfung in seinem Bezirk veranstaltet, aber nichts Wesentliches gefunden hatten und nachdem ihm auf einer ZK-Plenarsitzung im Juni offiziell wegen »unzulänglicher politischer Arbeit« eine Rüge erteilt worden war.
Doch die Mächtigen waren nicht mehr mächtig genug, ihn nicht nur zu rügen, sondern gegen ihn auch vorzugehen, ihn abzusetzen. Christof Ziemer: »Er war zwar kein Reformer im Sinne eines eigenen Konzepts, aber er konnte zuhören.« Und sein frei gewählter Nachfolger Lothar de Maizière lobte ihn bei Amtsantritt: »Durch seine behutsame Politik ist uns sicher vieles erspart geblieben.« Modrow hat nicht immer automatisch mit der üblichen Gewaltandrohung der Herrschenden reagiert, wenn er auf Widerspruch traf,
Zum Beispiel hat er nichts dagegen unternommen, dass im April 1989 im Dresdner Staatsschauspiel die bittere Komödie »Die Ritter der Tafelrunde« aufgeführt wurde, trotz der unübersehbaren Bezüge zur aktuellen Situation in der DDR. Christoph Heins Stück über das Ende eines vergreisten Regimes war nicht bloß eine einfache Geschichte aus dem scheinbar fernen Mittelalter. Der listige Dichter bediente sich der sagenhaften Figuren, um die Zustände im eigenen Land vorzuführen: König Artus und Parzival und die übrigen Ritter sind am Ende ihrer Weisheit. Die
Stühle, auf denen sie um die berühmte Tafel sitzen, sind bereits morsch, sie merken es nur nicht oder wollen es nicht zugeben. Berghofer glaubt, dass in den Wochen nach der Premiere Modrow kurz vor der Abberufung stand, doch waren die in Berlin wohl schon zu sehr mit ihren hauseigenen Intrigen beschäftigt.
Dass ihr König Artus, der Staatsratsvorsitzende Erich Honecker, keine Zukunft am Kopfende des Tisches mehr haben würde, wussten die Spitzengenossen. Sie sammelten Truppen für den bald anstehenden Machtkampf. Die Favoriten unter den möglichen Nachfolgern, die Ritter Günter Mittag und Egon Krenz, belauerten sich gegenseitig, die Partei war praktisch führungslos, ihre Basis bröckelte wie die Stühle im Stück. Zehntausende von DDR-Bürgern hatten sich über Ungarn oder Prag für immer aus der DDR verabschiedet, Funktionäre in den Bezirken ahnten, dass die offiziellen Jubelveranstaltungen unter dem Motto »Vierzig Jahre Deutsche Demokratische Republik« am 7. Oktober kein Geburtstagsfest, sondern eine Totenfeier waren.
In Berlin bei der zentralen Veranstaltung im Palast der Republik feierten die Totengräber der DDR, unterhalten im Showprogramm von Carmen Nebel, während draußen das Volk nach Gorbi rief, dem Hoffnungsträger aus der Sowjetunion. Das war neu. Früher wurde die bekannte Parole »Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen« sprachlich umgewandelt in »Von der Sowjetunion lernen heißt siechen lernen«. Plötzlich wollte das Volk tatsächlich was von ihr lernen. Nachdem sich Michail Gorbatschow mit dem gut gemeinten Rat »Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben« Richtung Heimat verabschiedet hatte – die Orchideen übrigens für seine Frau Raissa, Wert 100 D-Mark West, hat die Firma Letex im Westen besorgt -, rächten sich, ein letztes Mal, Mielke und Co. für die unbotmäßigen Rufe, gaben ihrer Bande die Knüppel frei und ließen das aufsässige Volk zuführen. 547 Zuführungen wurden in Zuführungspunkte gebracht, wie das hieß, dort misshandelt, geschlagen,
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