Wie Jakob die Zeit verlor
Ruhe.“
„Komm mit mir mit. Bleib hier.“
Philip schüttelt den Kopf. „Und was ist mit Jakob?“
„Bleib bei mir und Jakob.“
„Bei dir und Jakob? Ihr kriegt ja nicht mal euch selber auf die Reihe. Außerdem will Jakob das nicht.“ Er klingt verletzt, und erst jetzt begreift Arne, wie sehr Philip sich genau dies gewünscht hat: ihn und Jakob.
„Ich hatte keine Ahnung“, sagt er laut.
„Ich doch auch nicht“, fährt Philip auf, als hätte er seine Gedanken gelesen. „Jedenfalls nicht bis gestern Abend.“
„Jakob will“, sagt Arne sanft. „Er weiß es nur noch nicht.“
„Geh nach Hause“, wiederholt Philip.
„Nein“, sagt Arne. „Nur mit dir.“
Ein weiterer, sonniger Frühlingstag hat sich breitgemacht in der Stadt; nur am Horizont ballen sich ein paar Wolken wie Zuschauer am Rande eines Fußballspiels. Kinder verlangen nach Eiscreme, nach Schokoladen- und Erdbeerkugeln, zerren ihre Eltern ungeduldig Richtung Eisdiele; Hunde wälzen sich ausgelassen auf dem frischen Grün der Wiesen am Aachener Weiher. Fenster werden aufgerissen und Betten gelüftet. Die Verdecke der Cabrios werden nach unten gefahren, Musik dröhnt aus den CD-Playern und Radios und vermischt sich mit dem Lärm der Straßen; junge Männer pfeifen Frauen in engen Hosen nach und rufen ihnen anzügliche Bemerkungen zu, alte Männer blicken ihnen melancholisch hinterher und schweigen.
Es ist Mittag, als Philip und Arne nach Hause kommen und die Treppen nach oben steigen. Sie finden Jakob in der Küche, er sitzt am Tisch vor einem Becher Kaffee und starrt aus dem Fenster, reglos wie eine Statue. Erst als Arne ihm eine Hand auf die Schulter legt, rührt er sich und fährt sich durchs Gesicht.
„Du hast ihn also gefunden“, sagt er, als er Philip sieht.
„Ja“, erwidert Arne. „Das habe ich.“ Clinton stolziert aus dem Wohnzimmer herüber und reibt sich an den Beinen der Männer.
„Und jetzt? Was wird jetzt?“
„Das liegt ganz an dir.“
„Ja, Mann“, mischt sich Philip ein und grinst schief, „trau dich was.“ Er bückt sich und hebt die Katze auf seinen Arm, streichelt ihr durchs Fell. Dann lässt er sich auf einen Stuhl neben Jakob fallen und sieht ihn erwartungsvoll an.
Jakob seufzt. Er erinnert sich an eine ganz ähnliche Szene, die ein halbes Menschenleben zurückliegt. So viel ist seitdem geschehen, nichts hat sich verändert. Er ist wieder da, wo er schon einmal war. Er hat eine zweite Chance.
„Ich muss mich nicht entscheiden?“, fragt er.
„Doch“, antwortet Arne. „Natürlich. Aber für uns beide. Du musst nur ein wenig Mut haben. Ein bisschen Fantasie.“
Jakob hält die Luft an und schließt die Augen. Und dann atmet er ganz sachte aus, lässt Marius los, vorsichtig, behutsam, Stück für Stück, immer ein bisschen mehr.
Sein Gesicht ist nass, als er die Augen wieder öffnet, aber er sieht in den Blicken der beiden anderen, dass es keine Rolle spielt, dass sie verstehen.
„Ich kann es versuchen“, sagt er leise.
Danksagung
Fürs Lesen des Manuskripts, Ratschläge, Einsichten, Kritik, Lob und Ansporn danke ich Norbert Friederichs, Susanne Bach, Nina Stressenreuter, Pieter Osinga, Ingo Lier, Jens Zeise und Veit Schmidt.
Fürs Lektorat danke ich Jim Baker und Regina Nössler, für die Betreuung meiner Homepage Jörg Michaelis.
Und Norbert, dir danke ich, wie immer, für alles.
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