Wie keiner sonst / ebook (German Edition)
Geschichten zugehört.
Es ist zu weit, sagte er. Ich will nur das Auto zurückbringen. Heute Abend bin ich wieder da. Spät. Vielleicht wecke ich dich, wenn ich heimkomme. Warte nicht auf mich.
Er legte einen Schlüsselbund auf den Tisch.
Ich fragte, ob ich hinunter in den Hof gehen dürfe. Natürlich, antwortete er, er wolle nicht über mich bestimmen. Aber ich solle vorsichtig sein und auf mich aufpassen.
Dann küsste er mich auf die Stirn und ging zur Tür hinaus.
Jetzt startet das Auto. Der Motor brummt, knattert und hustet. Mein Vater fährt die Straße hinunter, in der großen Stadt, umgeben von anderen Autos. Alles bewegt sich schnell. Ich hoffe, er ist vorsichtig.
Was, wenn ich ihn nie wieder sehe, denke ich. Wenn er einfach verschwindet?
Aber ich weiß, dass er mich nie verlassen würde.
Ich nehme die Schlüssel vom Tisch. Am Schlüsselring hängt eine Eule. Sie zwinkert mit einem Auge, als wüsste sie etwas, das ich nicht weiß.
Ich öffne die Tür und gehe die Treppe hinunter.
Mein Vater hat mir erzählt, dass auf alten Karten von Afrika oder Südamerika immer schwarze Flächen waren. Orte, von denen keiner wusste, was einen dort erwartete. Es konnten enorme Schätze sein, Gold und Edelsteine. Oder Tiere, die niemand je gesehen hatte, Schmetterlinge groß wie Möwen. Aber auch Ungeheuer und Kannibalen. Dinge, die so schrecklich waren, dass man sie sich nicht vorstellen konnte. Immer wieder brachen Entdecker auf, um ein paar schwarze Flächen zu entfernen. Viele von ihnen kehrten nie zurück.
Ich gehe langsam die Treppe hinunter. Heute mache ich jeden Schritt vorsichtig. Ich glaube nicht, dass es auf der Treppe Fallen gibt, aber das ist kein Grund, gleich übermütig zu werden.
Der Hof ist über Nacht gewachsen. Als wir dem Hausmeister folgten, war er groß, heute ist er riesig. Die Kleinstädte, in denen wir vorher gewohnt haben, würden locker zwischen die Mauern passen. Ich gehe langsam voran, Schritt für Schritt, und komme an zwei zusammengewachsenen Apfelbäumen vorbei. Ich gehe über die kaputten Platten und vorbei an den kleinen Büschen, die an der Hauswand wachsen. Meine Augen sind eine Kamera, und jedes Mal, wenn ich blinzle, mache ich ein Bild. Wenn ich wieder in der Wohnung bin, werde ich die Buntstifte herausholen und die Bilder in meinem Kopf auf den Zeichenblock übertragen, den mein Vater mir vor ein paar Wochen geschenkt hat.
Ich versuche, mir den Weg zu merken. Wo ich nach rechts und wo nach links gegangen bin. Ich will ein guter Entdecker sein. In der Hosentasche drücke ich die kleine Eule am Schlüsselring, bis ihr Plastikschnabel in meinen Daumen sticht.
Eine Katze sitzt in einem Sonnenstrahl und leckt sich die Pfote. Ihr Fell ist grau mit weißen Flecken. Ich schleiche mich vorsichtig an sie heran, damit sie nicht erschrickt. Ein paar Meter vor ihr gehe ich in die Hocke. Da springt sie plötzlich auf und verschwindet in die Büsche, ich höre Schlüsselrasseln, hinter mir steht der Hausmeister.
»Was zum Teufel machst du hier?«
Ich antworte nicht.
»Hier hast du nichts verloren.«
Gestern war er nur ein großer Mann mit schmutzigen Hosen. Jetzt weiß ich, dass ich ihn nicht leiden kann. Ich werde versuchen, ihm aus dem Weg zu gehen. Das kann nicht so schwer sein, ich muss nur auf das Schlüsselrasseln achten, und im Hof gibt es massenweise Verstecke, in die er nicht hineinkommt.
Ich gehe zurück zu unserem Eingang. Ich habe Angst und laufe nach Hause, so soll es jedenfalls aussehen. Vielleicht stimmt es auch, aber ein Entdecker haut nicht einfach ab. Ein paar Meter vor unserer Tür drehe ich nach rechts ab und kauere mich hinter die Fahrradverschläge. Dort bleibe ich hocken und lausche. Ich höre die Autos draußen auf der Straße und einen Vogel, der in den Bäumen zwitschert, aber keine Schlüssel.
Ich warte kurz, um ganz sicher zu sein, zähle im Stillen: eine Rote Rübe, zwei Rote Rüben, immer noch keine Schlüssel. Ich stehe auf, will mich an der Mauer entlang fortschleichen, als ich plötzlich einen scharfen Schmerz im Nacken spüre. Wie ein Bienenstich. Ich habe Tränen in den Augen, aber nur, weil ich so erschrocken bin. Ich greife an die Stelle, wo es wehtut, und im selben Moment höre ich ein unterdrücktes Lachen. Dann wird das Lachen lauter, es raschelt in den Büschen, und ein Junge kommt heraus. Er ist ein paar Jahre älter als ich, hat dunkle, halblange Haare und trägt eine fransige Jeansjacke. In der Hand hält er ein Blasrohr aus weißem
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