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Wie keiner sonst / ebook (German Edition)

Wie keiner sonst / ebook (German Edition)

Titel: Wie keiner sonst / ebook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas T. Bengtsson
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Plastik, das mit blauem und rotem Klebeband umwickelt ist. Es ist das längste Blasrohr, das ich je gesehen habe.
    »Du musst entschuldigen«, sagt er, obwohl er immer noch lacht.
    »Das hat wehgetan«, sage ich.
    »Du redest lustig. Wie heißt du?«
    Das darf man nie voreilig verraten, das weiß ich.
    »Peter.« Der Name gefällt mir. Ich hätte nichts dagegen, Peter zu heißen.
    »Hast du den Hausmeister getroffen?«
    »Ja.«
    »Der frisst kleine Kinder. Ich meine noch kleinere als dich. Er kocht Suppe aus ihnen. Er steht immer vorm Krankenhaus und wartet, bis ein Kind tot geboren wird … Weißt du, was das ist?«
    »Ja.«
    »Ist auch egal. Auf welche Schule gehst du?«
    Ich habe keine Lust, ihm zu antworten, ich will weg, zurück in die Wohnung.
    »Welche Schule, hab ich gefragt.«
    »Wir sind gerade erst eingezogen.«
    »Auf welche Schule bist du vorher gegangen?«
    »Ich gehe nicht zur Schule«, sage ich und bereue es sofort.
    »Wie alt bist du?«
    »Sieben.«
    »Dann muss man zur Schule gehen, außer man ist ein Mongo. Dann geht man auf eine Spezialschule, wo man lernt, wie man Wäscheklammern zusammensteckt. Bist du ein Mongo?«
    Ich schüttle den Kopf, bin fast sicher, dass ich kein Mongo bin.
    »Also, auf welche Schule gehst du dann?«
    Ich antworte nicht.
    »Wir werden Freunde sein«, sagt er. »Wir beide.«
    Ich will zurück in die Wohnung. Ich gehe so langsam wie möglich, werde nicht laufen. Als ich nach der Klinke greife, höre ich, wie etwas neben meinem Kopf gegen die Tür knallt.
    Als ich am Abend im Bett liege, vermisse ich die Stimme meines Vaters. Ich vermisse seine Märchen. Meine Augen sind halb offen, als er zurückkommt. Erst als er sich ein Bier öffnet und eine Zigarette anzündet, fallen sie zu.

M ein Vater sagt, dass die meisten Menschen die Welt nicht sähen. Wir sitzen im Bus auf den hintersten Plätzen. Seine Stimme ist gedämpft. Ich freue mich, weil er nur mit mir redet. Nur ich kann seine Worte hören.
    Er sagt: »Die meisten sehen nur, was sie wollen. Sie trauen sich nicht, die Welt zu sehen, wie sie ist. Traust du dich?«
    Ich schlucke, dann nicke ich. An seiner Stimme höre ich, dass es wichtig ist. »Na klar«, sagt er und umarmt mich so fest, dass ich die Knöpfe seiner Jeansjacke spüre.
    »Die meisten laufen völlig blind in der Welt herum. Weißt du noch, was ich dir über die Elektrizität erzählt habe? Dass wir sie brauchen, um Brot zu toasten und Licht anzumachen?«
    »Ja.«
    Ich durfte das Licht so oft an- und ausschalten, bis die Lampe kaputtging und wir fürs Abendessen Kerzen anzünden mussten. Mein Vater war nicht sauer, weil ich etwas gelernt hatte.
    »Hast du je Elektrizität gesehen?«
    Ich schüttle den Kopf.
    »Wir wissen, dass sie durch die Leitungen fließt, aber wir können sie nicht sehen. Trotzdem wissen alle Leute, dass es sie gibt. Ohne Strom würden ihre Fernsehapparate ausgehen. Dann würden sie dasitzen und ins Leere glotzen.«
    Er lacht, und ich lache mit ihm.
    »Dass man etwas nicht sieht, heißt nicht automatisch, dass es nicht existiert.«
    Langsam füllt sich der Bus mit Menschen. Mein Vater schaut aus dem Fenster. Zuerst glaube ich, er sei fertig, aber dann beugt er sich dicht zu mir, sein Atem kitzelt meinen Nacken. »Es liegt nicht daran, dass die Menschen diese Dinge nicht sehen. Sie haben sie immer gesehen. Die Bücher sind voll davon. Die Märchen. Aber die Menschen sind ängstlich geworden. Sie tun, als würden sie nichts sehen. Wenn sie spätabends in den Keller gehen und ein fremdes Geräusch hören, lachen sie nur. Sie lachen über sich selbst, denn da ist ja nichts. Jedenfalls haben sie das beschlossen.«
    Mein Vater sieht mich an, legt den Arm um meine Schulter.
    »Ich sage dir das, weil du jetzt ein großer Junge bist.«
    »Ich bin sieben.«
    »Ja, du bist ein großer Junge.«
    Wir schauen aus dem Fenster. Ich versuche wirklich, wie mein Vater zu sehen, weiß aber nicht recht, was ich erblicken soll.
    »Werde ich nicht in die Schule gehen, Papa?«
    »Willst du das? Du kannst doch lesen …«
    Ich nicke. Seit ich mich erinnern kann, lese ich.
    »Ja, aber es gibt ja noch mehr …«
    »Zum Beispiel?«
    »Rechnen. Das lernt man auch in der Schule.«
    »Ja … Aber du weißt, dass es zu spät ist, um dieses Jahr noch anzufangen, nicht wahr?«
    Ich nicke. Es ist April. Der grausamste Monat, wie ihn mein Vater nennt.
    Er sieht mich lange an. Mustert mich und lächelt. Wenn ich größer wäre, würde er vielleicht verraten, was ihn

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