Wie keiner sonst / ebook (German Edition)
Großmutter, als wir von Bord fahren.
»Würdest du deinen Großvater ein letztes Mal besuchen und dich verabschieden?«
Ich nicke. Wir fahren an der Bushaltestelle vorbei auf die Schnellstraße.
Der Mann im Bett sieht nicht mehr wie ein Mensch aus. Seine Haut ist wächsern. Er hat blaue und lila Flecken im Gesicht und auf den Armen. Sein Körper hält ihn bereits für tot. Wir sitzen zwanzig Minuten dort, meine Großmutter sieht ihn erwartungsvoll an. Dann steht sie auf und zieht den Mantel an. »Dein Enkel war hier«, sagt sie. »Ich weiß, dass du mit ihm reden wolltest. Jetzt ist er also hier gewesen.«
Wir gehen durch den Krankenhausflur.
»Du musst etwas essen«, sagt sie. »Du hast eine lange Reise vor dir.«
Wir gehen in die Cafeteria. Ich kaufe Kaffee und ein Sandwich mit Leberpastete. Ringsumher sitzen Menschen mit Infusionsständern und essen. Meine Großmutter nagt an einem Stück Rührkuchen.
In diesem Moment kommt die Krankenpflegerin mit weit aufgerissenen Augen angerannt.
»Er ist wach«, prustet sie.
Wir laufen, so schnell meine Großmutter kann, zum Aufzug.
Die Augen meines Großvaters sind geöffnet, aber trüb. Er liegt ganz still. Zuerst denke ich, dass sie sich geirrt haben. Oder vielleicht ist er gestorben, als wir im Aufzug standen. Doch dann bewegt er sich sachte. Meine Großmutter stützt ihn mit dem Kissen und hält ein Glas Wasser an seinen Mund. Er öffnet ihn, befeuchtet die Lippen.
»Ich lasse euch allein«, sagt sie und schließt die Tür hinter sich.
Der Mann im Bett sieht mir tief in die Augen. Er besteht nur aus Augen. Selbst wenn ich wollte, könnte ich nicht wegschauen.
»Du bist da.« Seine Stimme ist heiser und gebrochen. »Hör zu, mir bleiben nicht viele Worte.«
Einen Augenblick glaube ich, er würde wieder verstummen.
»Ich will ein guter Mensch sein«, sagt er schließlich. »Ich habe es versucht. Aber ich war nicht gut zu deinem Vater.«
Seine Augen suchen das Glas auf dem Nachttisch. Ich halte es an seinen Mund, er trinkt angestrengt.
»Ich habe mir eingeredet, dass es notwendig war. Eine Art Strafe. Aber ich wusste, dass es ein Fehler war. Ich hoffe, du kannst mir vergeben.«
»Wofür?«
»Es war ein Fehler. Reicht das nicht aus?«
»Nein.«
»Vergib mir.«
»Was hast du getan?«
»Ich kann nicht …« Seine Augen sind halb geschlossen, seine Stimme ist nur ein Hauch.
»Kannst du mir vergeben?«
Seine Augenlider bleiben halb offen.
Auf dem Gang wartet meine Großmutter. Sie wirkt kleiner, in sich selbst versunken. Sie geht zu ihrem Mann. Ein paar Minuten später kommt sie wieder heraus. Sie weicht meinem Blick aus.
Wir fahren zurück durch die Stadt. Bei der Bushaltestelle bremst sie ab.
»Ich bleibe zur Beerdigung«, sage ich.
Meine Tante geht von Zimmer zu Zimmer, sagt, dass wir die Möbel umräumen und ja genug Bier kaufen müssen, sonst würden sie sich gleich an den Schnaps machen. Sie redet am lautesten, aber ich bin mir sicher, dass meine Großmutter mit wenigen, wortkargen Anrufen die gesamte Beerdigung organisiert hat. Am Morgen hängt mein neuer schwarzer Anzug auf der Stuhllehne.
D er Pfarrer ist jung. Er steht auf der Kanzel und schaut in sein Konzept. Er legt seine Hände aufs Pult, damit niemand sieht, wie sie zittern.
Er kam verspätet an, legte eine Vollbremsung ein und rutschte über den Schotter. Nun schaut er von seinen Papieren auf und blickt über die Versammlung von Fischern. Große Männer mit großen Händen, die auf den Bänken hin und her rutschen, dass das Holz knirscht. Keiner hört ihm zu, was er erst nach der Hälfte seiner Rede bemerkt. Er hält ein, sein Blick sucht die Familie, die gekommen sein muss, um seine Worte zu hören. Wir sitzen in der ersten Reihe. Meine Großmutter hat die Hände gefaltet und schaut auf den Boden. Auch ich schaue weg, will ihm nicht helfen. Plötzlich ist er nicht mehr von seinen Worten überzeugt. Er erzählt von einem Pastor, der sein gesamtes Leben auf der Insel zugebracht hat. Der nie wegging, weil er wusste, wie wichtig es ist, dass die Menschen dort, wo sie leben, an Gottes Gnade teilhaben können. Vielleicht sei dies eine größere Herausforderung, als Gottes Worte nach Afrika zu tragen, denn auch auf einer kleinen dänischen Insel dürfe man diese nie vergessen.
Der Pfarrer blickt starr in sein Konzept, bis er den letzten Punkt erreicht. Dann packt er rasch zusammen.
Meine Großmutter und ich gehen voran, dann kommen meine Tante und ihre Kinder.
Hinter uns folgen die
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