Wie keiner sonst / ebook (German Edition)
mir. Er fragt, ob ich wirklich kein Hasch mehr habe. Nur ein bisschen. Er sieht mich an, als würde ich es heimlich rauchen, und nimmt einen tiefen Zug aus einem unsichtbaren Joint.
Die Zimmer im Pfarrhof sind eiskalt, wir halten uns im Wohnzimmer oder in der Küche auf. Mein Cousin dreht die Kassette in seinem Walkman um, meine Cousine füllt Blatt für Blatt mit ihren Arabesken. Meine Tante liest zum x-ten Mal dieselbe Zeitung oder geht fort – Besorgungen, sagt sie – und bleibt stundenlang weg.
Ab und zu klopft es an die Küchentür, und ein paar Fischer kommen zu Besuch, große Männer mit roten Gesichtern und schmutzigen Kleidern. Ich erkenne den Mann wieder, der schwankend auf der Straße stand.
Hier in der Küche reden sie leise, bewegen sich bedacht und übertrieben langsam, als hätten sie Angst, den Tisch zu zertrümmern oder den Türgriff abzureißen. Sie bringen frischen Fisch, Eier und Lammkeulen. Meine Großmutter nimmt alles mit einem Nicken an und sagt ihnen, wo sie das Essen hinlegen sollen.
Tag für Tag stehe ich früher vom Tisch auf. Obwohl noch Kartoffeln und Fisch auf meinem Teller liegen, bedanke ich mich und gehe hinaus. Die Stiefel und die dicke Jacke liegen im Flur bereit. Tag für Tag versuche ich, mich davonzustehlen, bevor mein Cousin mir folgt.
Heute jedoch folgen mir mehr als ein Paar Füße.
»Hast du etwa kein Papier mehr für deine blöden Scheißmuster?«, höre ich meinen Cousin sagen.
»Und du willst wohl wieder rauchen?«, fragt meine Cousine. »Das nächste Mal werfen wir dich in den Graben.«
»Geh woanders spazieren.«
»Auf dieser blöden Insel gibts nicht viele Wege.«
»Geh ins Dorf und such dir einen Fischer.«
Ich drehe mich um, und beide bleiben stehen. Sie weichen meinem Blick aus.
»Verpisst euch, lasst mich in Ruhe!« Sie antworten nicht.
Ich gehe weiter, und wieder höre ich zwei Paar Füße hinter mir.
Kurz darauf haben sie mich eingeholt. Sie streiten sich, welchen Weg wir nehmen sollen. Ich folge meiner Cousine, und mein Cousin kommt nur widerwillig mit. Wir gehen durch einen verwilderten Hain, der einmal eine Apfelplantage war. Fast alle Bäume sind tot, auf den wenigen Blättern klebt eine dünne Salzkruste.
Dann gehen wir ans Meer. Ich höre die Wellen, bevor wir das Ufer erreichen, große, schwarze Wellen mit Schaumkronen. Entlang der Kliffkante liegen verlassene Vogelnester. Mein Cousin und meine Cousine treten sie kaputt, Zweige und Federn wirbeln durch die Luft.
»Zur Brutzeit macht das viel mehr Spaß«, sagt meine Cousine. Daunen kleben an ihren Stiefeln. Die beiden hüpfen und lachen.
»Das machen wir immer hier«, sagt mein Cousin.
»Blöde Scheißinsel«, sagt meine Cousine. »Blöde, verdammte Scheißinsel.«
Sie lassen sich ins Gras fallen und schnappen nach Luft, rot im Gesicht.
I ch folge meiner Tante auf die Rückseite des Pfarrhofs. »Der hier müsste passen«, sagt sie und steckt den Schlüssel ins Schloss. Die Schuppentür klemmt, alles ist verstaubt und mit Spinnweben überzogen. Ich muss Rechen, Spaten und anderes Werkzeug aus dem Weg räumen, um an das Rennrad zu kommen, das mein Vater so oft gezeichnet hat. Ich trage es nach draußen und lehne es an die Wand. »Dein Vater hat es geliebt«, sagt meine Tante.
»Ein echtes Monark.«
Das Fahrrad ist dunkelblau, der Lenker mit weißem Lederband umwickelt.
»Er hat viele Jahre dafür gespart. Ich habe mich über ihn lustig gemacht, weil er es hier kaum benutzen konnte. Im Dorf sind überall Pflastersteine, und sonst gibt es nur Schotterwege.«
Erst jetzt sehe ich, wie verbogen das Vorderrad ist.
»Er war so stolz«, sagt meine Tante, »hat es mehr geschoben als gefahren. Ein Traktorfahrer hat ihn gefunden. Er war bewusstlos und hatte eine Gehirnerschütterung. Musste still liegen und durfte nicht einmal lesen. Danach schloss er es weg, und ich sah es nie wieder.«
Ich stelle das Fahrrad wieder in den Schuppen, meine Tante schließt ab. Sie geht zu der Bank vor dem Haus, setzt sich und klopft auf den Platz neben sich.
Sie raucht und bietet mir eine ihrer langen Zigaretten an. Ihr Atem riecht nach Schnaps.
Wir schauen über die öde Landschaft in den grauen Horizont.
In den letzten Tagen ist ihr Make-up kräftiger geworden. Manchmal verlässt sie das Wohnzimmer und kommt mit einer frischen Schicht im Gesicht zurück. Auch ihre Sprache verändert sich. Am Mittagstisch spricht sie jedes Wort so deutlich wie möglich aus, aber abends ist ihr Dialekt genauso breit wie
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