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Wie kommt das Salz ins Meer

Wie kommt das Salz ins Meer

Titel: Wie kommt das Salz ins Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Schwaiger
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anziehen? Das ist doch über ein Jahr her, das mit dem Fetzen, schreit Rolf. Fetzen, hat er gesagt, nach einem ganzen Jahr sagt er noch immer Fetzen. Also warum durfte ich vor einem Jahr, damals am Freitag, nicht das zitronengelbe Kleid anziehen? Weil du kindisch aussiehst darin. Er mag es nicht, fühlt sich provoziert, wenn ich es trage. Daß ich es liebe: gut. Aber daß ich es noch immer liebe, wo er es doch haßt, das beweist, daß ich ihn nicht liebe. Das Kleid wurde zur Machtfrage.
    Rolf kaufte zwei neue zitronengelbe. Und ich versteife mich auf das alte. Da sagt er: nimm bitte Rücksicht auf mich. Alle sagen, daß du dich unmöglich anziehst und daß sie nicht verstehen, warum ich dich nicht einkleide. Du erweckst also, wenn du das liebe Kleidchen anziehst, den Eindruck, ich sei ein Egoist. Außerdem sagen alle, auch Hilde und Albert, alle sagen, daß sie nicht verstehen, warum du nicht mehr aus dir machst. Wir sind umzingelt von Sagern und Meinern, Rolf! Der einzige Mensch, der nicht dauernd eine Antwort hat und der dir wirkliche Fragen stellt, bin ich! Aber das sind Ohrwürmer.
    Schminke dich sorgfältiger, schrei leiser, und außerdem ist es nicht wahr, daß unser Leben eintönig verläuft. Es gibt Abwechslungen: Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag und Samstag. Sonntag. Und Montag, ein Vertreter aus Ried im Innkreis war da, Dienstag: vier Leute aus Graz, Mittwoch: der englische Hochschulprofessor. Donnerstag: Rolf hat der Sekretärin in den Mantel geholfen. Obwohl es betriebsunüblich ist. Er würde ihr ja, wenn es nach ihm ginge, jeden Abend in den Mantel helfen. Aber sein Chef, der, der die Köpfe rollen läßt, ist dagegen. An jenem Donnerstagabend half Rolf aber der Sekretärin in den Mantel, weil er mit ihr noch ein halb privates, halb geschäftliches Gespräch geführt hatte nach Dienstschluß. Und da wäre es ihm peinlich gewesen, neben ihr zu stehen, tatenlos, wie sie ihren Mantel anzog. Also half er ihr hinein und machte zum erstenmal eine Ausnahme. Er weiß aber nicht, wie das nun weitergehen soll. Er kann nicht als einziger im Betrieb in seiner Abteilung der Sekretärin in den Mantel helfen. Wie hätte er handeln sollen? Ich finde, er hat richtig gehandelt. Er findet es auch. Wir verstehen uns. Ich finde, er sollte ihr in den Mantel helfen, wenn er das will und sie auch. Er sagte, er versteht meinen Standpunkt, und er teilt ihn, aber das würde den Usus durchbrechen.
     
    Wohin mit dem Zettel? Da steht, daß ich in sieben Monaten entbinden werde. Eisen und Vitamine genug, um ein gesundes Kind zur Welt zu bringen. Das sagte doch der Internist: Sie sind kräftig. Ein Kind mit einem Muttermal? Beim Spaziergang mit Albert wird ein Wunsch abgewürgt, bevor er noch ganz ausgesprochen ist. Halbe Sätze tropfen aus seinem Mund. Die Unterlippe schiebt er vor wie einen kleinen roten Löffel, mit dem er Medizin in niedriger Dosis und genauer Tropfenanzahl verabreicht. Ein Ei ist kein Huhn, und das Ei muß weg. Wenn Albert es sagt. Und wie er es sagt. Wie Albert plötzlich ein anderes Gesicht bekommen hat über dem Zettel mit der Frohbotschaft. Es schrumpft von Minute zu Minute, und der Körper wächst und wächst, die Augenbrauen werden zu Antennen. Albert fährt sich ruckartig und viele, viele Male durch die Haare. Soviel Gebüsch über einem so kleinen Gesicht. Warum hast du keine Pille genommen? Weil ich mich auf etwas Unmögliches verlassen habe. Ist es wirklich unmöglich? Albert spricht von Erpressung. Um ihm zu beweisen, daß ich keine Erpresserin bin, fahre ich gleich mit ihm. In die Ordination. Vorhänge zu. Leg dich auf den Tisch. Beiß die Zähne zusammen. Beine auseinander, locker, halte dich ganz locker, rutsch weiter vor, das ist doch keine Affäre.
    Ich begreife nichts mehr. Bin ich überempfindlich, weil ich mich gedemütigt fühle? Daß er mit diesem großen Eisenhaken kommt. Wie oft hat er so was schon schnell erledigt? Er entschuldigt sich dafür, daß er es ohne Narkose tun muß. Aber du hast ja zwei Injektionen bekommen. Das bißchen Schmerz ist nur der Krampf. Die Gebärmutter muß sich öffnen, verstehst du? Ich habe eine Gebärmutter. Jetzt, wo sie beraubt wird, fällt mir das erst richtig ein, daß ich eine habe. Albert schabt geschickt. Er macht das mit denselben Händen, die er noch gestern und vorgestern auf meine Schenkel legte. Da waren sie so gut. Diese Hände. Immer hat er diese Hände bei sich gehabt, von Anfang an. Komm runter, wir sind fertig. Ich ziehe

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