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Wie kommt das Salz ins Meer

Wie kommt das Salz ins Meer

Titel: Wie kommt das Salz ins Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Schwaiger
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brauchte er mehr, und er hat, was er will, legalisiert, ich auch, brauche nicht in Kälte und Schnee auf der Straße zu warten, ich habe meine Stammkundschaft, ihm kommt es billiger, und das ist die Sicherheit, die er mir gibt. Dann half er beim Tischabräumen, immer hat er eine Absicht, wenn er zupackt, und damals honorierte er eine Sonderleistung, und später wurde er mißtrauisch, dachte lange nach, wie er so saß und nichts sagte, fragte, was ich so lese und tue, wenn ich allein zu Hause bin, ob ich ein Doppelleben führe in Gedanken oder Taten, und ich sagte: Wo denkst du hin. Obwohl ich tatsächlich Albert ins Schlafzimmer phantasierte, wenn er zu viele Patienten hatte, und die Phantasien einer Hausfrau können dem Haushalt gefährlich werden. Eine Frau hat keine Phantasien zu pflegen als die des Mannes, und wenn der Mann nicht phantasiert, weil er Phantasien ablehnt, so bin ich moralisch nicht berechtigt, allein zu phantasieren. Außerdem: Hure hat sie gesagt. Du redest ja wie ein Mann, sagte Rolf.
     
    Schwanger sind Sie nicht?
    Der Arzt schaut die Krankenschwester an. Steriles, tüchtiges Team. Die Schwester steckt Schläuche in eine amerikanische Maschine, die für Leukämiepatienten über den Ozean gekommen ist. Blutkrebs ist nicht heilbar, aber hier kann man die vielen weißen Blutkörperchen vorübergehend herauswaschen. Dem Tod sagen: Hier Allgemeines Krankenhaus, bitte warten! Da leg ich meinen Hobel noch nicht hin und sag der Welt noch nicht ade. Ferdinand Raimund hat sich übrigens umgebracht wie Kleist, wie Tucholsky, aber der mit Gift, und Adalbert Stifter mit einer Klinge, und mein Urgroßvater mit einem Strick, wenn es auch dementiert wird von der Großmutter. Sie sagte, er habe sich nicht wirklich aufhängen wollen, er habe es nur probiert oder so getan, um die anderen zu erschrecken, und angeheitert ist er gewesen, da stürzte er in die Schlinge, rutschte aus, schrie um Hilfe, nur hörte ihn keiner, es war Nacht, und er war jede Nacht angeheitert. Diese Maschine kostet über eine Million Schilling, der Staat bezahlt das, jede Patientenreinigung kostet siebenhundert, weil man alle Schläuche nachher wegwerfen muß. Das erklärt mir die Krankenschwester genau, weil ich die Frau eines Akademikers bin und es verstehe.
    Ich glaube nicht, daß Sie geisteskrank sind, sagt der Arzt, nur schwermütig. Wenn der Apparat nicht funktioniert, er meint den Lebensmotor, meine Galle und meine Leber, von wo meine Übelkeiten kommen, dann wirkt sich das auf die Stimmung aus. Also macht er ein Blutbild. Die Krankenschwester zapft mich an. Sie hat ein rundes, starkes Kinn, trägt Ohrringe, riecht frisch und wirkt sehr zufrieden mit allem: Mit dem Arzt, der ihr Mann oder Geliebter ist, mit der Maschine, die sie mit den Menschen und mit dem Mann verbindet. Sie arbeiten zusammen. Das ist es. Ich glaube, die Schwester und ihr Arzt verstehen einander gut. Machen Sie sich frei, sagt der Arzt. Er meint: Kleid und alles übrige ausziehen. Tut das weh? Nein. Und da? Auch nicht. Und jetzt, tut es hier weh? Nein, jetzt tut es gut. Er wird rot! Das sagt man nicht, wenn einer nur aus medizinischen Gründen freundliche Körperteile freundlich berührt. Trotzdem tut es gut, und ich möchte weinen, weil er alles so angenehm macht und nichts fragt außer: Kinderkrankheiten? Das ist leicht. Gelbsucht, Masern, Röteln, Mittelohrentzündung. Ich habe alles gehabt. Blinddarm und Mandeln herausoperiert. Auch war ich in meinen Mann einmal verliebt. Herausoperiert. Er küßte mich zum erstenmal, als ich zehn war, er sechzehn, meine Wange wurde ganz naß, er schob sein Fahrrad nach Hause, ich trug meinen ersten Kuß nach Hause, stellte mich auf einen Stuhl, im Waschbecken unterm Spiegel schwammen Friedas eingeweichte Strümpfe, ich betrachtete meinen ersten Kuß im Spiegel. Frieda durfte alles wissen, weil sie mein Kindermädchen war und mich aufklärte. Aber Mutter stritt ab, daß die Kinder von dort kommen, woher sie nach Friedas Behauptungen kamen, und meine Mutter schlug mich auf die Wange und zerschlug den Kuß, weil man nicht mit so einem Rolfi Maikäfer fangen geht, wenn es heuer keine Maikäfer gibt, und weil die Mutter von diesem Rolfi angerufen hatte zu Hause, voll Sorgen, und vielleicht habe ich ihn bis zur Hochzeit geliebt, weil sie mir den Kuß zerschlugen ohne Vorwarnung. Der Arzt legt liebevoll einen Schlauch um meinen Arm. Die Schwester schaut ohne Eifersucht zu. Ich bin ja nur ein Fall. Heulen könnte ich. Aber das ist nur

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