Wie man einen verdamt guten Roman schreibt (Teil 2)
eine starke Prämisse haben
und daß die Prämisse wirkungsvoll und mit sparsamen Mitteln bewiesen wird. Es wird eine Entwicklung bei den Figuren stattfinden, Ironien und Überraschungen geben, und die Prä - misse wird so beschaffen sein, daß sie zu beweisen lohnt.
Überlegen Sie als nächstes, wie sich die Geschichte unter einer anderen Prämisse verändern würde. Welche Sequenzen könnten wegfallen? Was müßte hinzugefügt werden?
Der nächste Schritt besteht darin, selber Geschichten mit einer Prämisse im Hinterkopf zu erfinden. Denken Sie sich einfach eine Prämisse aus und skizzieren Sie dann die Komplikationen, mit deren Hilfe Sie sie beweisen wollen. Machen Sie ein bis zwei davon am Tag, und in wenigen Wochen haben Sie das Schreiben mit einer Prämisse im Hinterkopf gemeistert.
Von da an sind Sie wie ein ägyptischer Steinmetz mit einem Meißel. Sie haben das Werkzeug, das Ihnen hilft, richtige Meisterwerke zu schaffen, die möglicherweise die Zeiten überdauern. Nachdem Sie die Prämisse gemeistert haben, brauchen Sie eine starke Erzählerstimme, und das steht zufälligerweise als nächstes auf unserem Programm.
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ÜBERSTIMMEN,
ODER DAS »WER«,
DAS DIE GESCHICHTE ERZÄHLT
WARUM DAS WER NICHT SIE SIND
Während Sie dieses Buch lesen, bekommen Sie zweifellos einen deutlichen Eindruck von
seinem Autor. Sie sind sich bewußt, hoffe ich zumindest, daß dieses Buch nicht von einer Maschine geschrieben wurde. Durch das Geschriebene scheint eine Persönlichkeit durch. Ver - mutlich ist Ihnen aufgefallen, daß der Erzähler feste Ansichten und einen Sinn für Humor hat. Sie mögen vielleicht glauben, daß das »Ich« des Erzählers und das »Ich« des Autors James N. Frey ein und dasselbe sind. Sind sie aber nicht. Das »Ich« des Erzählers ist nicht das »Ich« von James N. Frey. Wenn James N. Frey sich zum Schreiben hinsetzt, nimmt er eine Persona an, und diese Persona ist das »Ich« des Erzählers. Es ist eine idealisierte Projektion von James N. Frey, nicht der reale Mensch James N. Frey. Die Persona des Erzählers steckt voller überschäumendem Optimismus. Der wirkliche James N. Frey hat Tage, an denen es ihm schlecht geht. Tage, an denen er seine eigenen guten Ratschläge mißachtet. Tage, an denen er am liebsten auf seine Tastatur kotzen würde, weil die Worte einfach nicht fließen wollen. Doch der Erzähler dieses Buches leidet nie unter solchen Launen. Der Erzähler dieses Buches ist unerschütterlich optimistisch, immer obenauf, vergnügt und fast schon anmaßend selbstsicher.
Das heißt nun nicht, daß der wirkliche James N. Frey nicht an das glaubt, was in diesem Buch steht. Er glaubt jedes einzelne Wort. Aber wie jeder andere hat auch James N. Frey gute und schlechte Tage. Er ist manchmal schlecht gelaunt, macht sich Sorgen über die nationale Verschuldung, und manchmal kann er einfach seine Finger nicht dazu bewegen, über die
Tastatur zu tanzen. Der Erzähler hingegen schwebt einfach dahin, höher als ein Drachen im Jetstream.
Also selbst wenn ich, der wirkliche James N. Frey, deprimiert bin, weil mein Goldfisch abgenibbelt ist, lasse ich meine Deprimiertheit nicht in die Stimme des Erzählers eindringen. Ich werfe mir meine Persona über und haue in die Tasten, ein Lächeln auf den Lippen und ein Funkeln im Auge.
Ich habe natürlich auch noch andere Erzählerstimmen in meinem Repertoire.
Als ich Englische Literatur studierte, habe ich meine Hausarbeiten mit einer anderen Stimme geschrieben, einer wissenschaftlichen Stimme. Hier ist ein Beispiel aus einem Essay, den ich geschrieben habe; sein Titel (stöhn!): »Hermeneutik und die klassische Tradition«:
Ziel dieser Arbeit ist ein Vergleich zwischen den kritischen Ansätzen von Alexander Pope und E.D. Hirsch, Jr. Pope, der Autor des Augusteischen Zeitalters, ist möglicherweise der bedeutendste klassizistische Theoretiker und Praktiker; Hirsch ist ein amerikanischer Professor für Hermeneutik, stark beeinflußt von jener deutschen Philosophie des zwanzigsten Jahrhunderts, die unter dem Namen Phänomenologie bekannt ist. Die Dichotomien, Parallelen und Ansätze, die im folgenden aufgezeigt werden, sind lediglich Annäherungen und keineswegs erschöpfend. Das sich daraus ergebende Bild wird hoffentlich die These unterstützen, daß der Kern von Popes klassizistischer Theorie der Kritik in Hirschs Hermeneutik weiterlebt, insbesondere die Begriffe, der auktorialen Intention, von Dichtung als bewußtem Akt und von der Gattung als
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