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Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat

Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat

Titel: Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bayard
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nicht weniger berechtigt, seine Meinung zu äußern, als alle anderen versierten Nichtleser, denen wir in diesem Buch begegnet sind und die mit ihren Eindrücken ebenso wenig hinter dem Berg halten.
    ∗
    Trotz des überraschten Raunens, das immer wieder durchs Publikum geht, zieht sich Martins ziemlich gut aus der Affäre, und das aus zwei Gründen.
    Der erste ist die unerschütterliche Selbstsicherheit, die er gegenüber sämtlichen Fragen an den Tag legt:
    »›Und James Joyce, wo würden Sie James Joyce einreihen, Mr. Dexter?‹
    ›Was meinen Sie mit ›einreihen‹? Ich will keinen Menschen irgendwo einreihen‹, rief Martins. Es war ein sehr ereignisreicher Tag gewesen: Bei Oberst Cooler hatte er zuviel getrunken; dann hatte er sich verliebt; ein Mensch war ermordet worden – und jetzt bildete er sich, freilich ganz ohne Grund, ein, daß man sich über ihn lustig machen wollte. Zane Grey hatte er immer schon verehrt: Auf ihn ließ er nichts kommen!
    ›Ich meine: Würden Sie ihn wirklich zu den ganz Großen zählen?‹
    ›Wenn Sie es unbedingt wissen wollen: Ich habe noch nie von ihm gehört. Was hat er denn geschrieben?‹«[ 12 ]
    Diese Selbstsicherheit Martins’ mag zum Teil in seinem Charakter liegen, doch hat sie auch mit der Autoritätsposition zu tun, die der Veranstalter und das Publikum ihm zugebilligt haben. Was immer er auch sagt, wird zu seinen Gunsten ausgelegt, denn aufgrund des symbolischen Orts, den er einnimmt, solange seine Identität nicht gelüftet wird, ist ausgeschlossen, dass er eine Dummheit sagen könnte. Je offener er seine Unkenntnis zeigt, umso überzeugender wirkt er auf einer anderen Ebene:
    »Es war ihm nicht bewußt, aber er machte einen ungeheuren Eindruck. Nur ein ganz großer Schriftsteller konnte sich ein so arrogantes, so originelles Auftretenleisten. Mehrere Anwesende notierten sich den Namen Zane Grey auf dem Rücken von Briefumschlägen, und die Gräfin flüsterte Crabbin mit heiserer Stimme zu: ›Wie schreibt man Zane?‹
    »›Offen gestanden, ich weiß es nicht ganz genau.‹
    Mehrere Namen wurden Martins nun gleichzeitig entgegengeschleudert – kleine, scharf gespitzte Namen wie ›Stein‹, runde Bachkiesel wie ›Woolf‹. Ein junger Österreicher, dem eine intellektuelle schwarze Locke in die Stirn fiel, rief: ›Daphne du Maurier‹, und Mr. Crabbin zuckte zusammen. Er sah Martins von der Seite an und sagte zu ihm mit gedämpfter Stimme: ›Seien Sie nett zu ihnen.‹«[ 13 ]
    Diese Autoritätsposition ist ein wesentliches Element in einem Gespräch über Bücher, und sei es nur, weil das einfache Zitieren eines Textes meistens eine Art ist, seine eigene Autorität unter Beweis zu stellen oder anderen die ihre streitig zu machen. Martins kann Benjamin Dexter mit der Tradition des Westerns in Verbindung bringen, ohne Widerspruch befürchten zu müssen: Entweder werden seine Behauptungen als originelle Einfälle akzeptiert, oder sie werden, wenn sie allzu überspannt sind, seinem Humor zugeschrieben.[ 14 ] In beiden Fällen steht die Richtigkeit seinerÄußerungen schon fest, bevor sie formuliert sind, und der Inhalt des Gesagten spielt somit nur eine untergeordnete Rolle.
    Die Mächte aufzudecken und zu untersuchen, die im Spiel sind, oder, wenn man lieber will, die Situation genau zu analysieren, in der man sich befindet, wenn man über Literatur spricht, ist ein wesentlicher Teil unserer Reflexion über ungelesene Bücher, denn nur diese Analyse kann uns zu einer effizienten Strategie verhelfen, wenn wir uns, wie hier Martins, in einer unterlegenen Position befinden. Wir werden noch Gelegenheit haben, darauf zurückzukommen.
    ∗
    In der beschriebenen öffentlichen Lesung sieht sich also ein Schriftsteller, der die Bücher, über die er sprechen muss, nicht gelesen hat, mit einem Publikum konfrontiert, das die Bücher nicht gelesen hat, die er geschrieben hat. Wir haben hier ein perfektes Beispiel dessen vor uns, was wir gemeinhin als
Dialog unter Tauben
[ 15 ] bezeichnen, als Aneinandervorbeireden.
    Zwar wird diese Situation in
Der dritte Mann
auf die Spitze getrieben, doch ist sie im Zusammenhang mit dem Reden über Bücher gar nicht so unüblich, wie man meinen möchte. Zum einen kommt es häufig vor, dass die diversenGesprächspartner das Buch, über das sie diskutieren, nicht gelesen oder nur überflogen haben und sich also in Wahrheit gar nicht über dasselbe Werk unterhalten. Und selbst in dem eher seltenen Fall, dass sie es alle in der Hand gehaben

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