Wie Pferde denken und fühlen - Wendt, M: Wie Pferde denken und fühlen
eigenen Gene. Die natürliche Auslese, also der Druck, den die Natur auf die einzelnen Individuen legt, führt zu einer Ausdünnung der Population. Wer diesem Selektionsdruck am erfolgreichsten begegnet, hinterlässt die meisten Nachkommen und schickt sein genetisches Material in die Zukunft. Über viele Generationen verändert sich eine Population nun so, dass sie ausschließlich die Eigenschaften derer aufweist, die am besten an die Umwelt angepasst waren. Bei Pferden kann ihre beeindruckende Fähigkeit, schnell und ausdauernd zu laufen, als ein Selektionsvorteil angesehen werden, denn die langsameren Exemplare wurden eher das Opfer von Raubtieren und ihr genetisches Material verschwand damit für immer.
Als ein Paradebeispiel der Evolutionstheorie gilt die Ahnenreihe der Pferde, die durch umfangreiche Fossilfunde sehr gut belegt werden konnte. Die Entwicklung des Pferdes vollzog sich über etwa 60 Millionen Jahre vom waldbewohnenden und eher antilopenähnlichen Eohippus über den Merychippus (ein Steppen- und Herdentier, das vor circa 20 bis 25 Millionen Jahren lebte) und den mit dem heutigen Pferd schon weitgehend baugleichen Pliohippus (vor sechs bis zwölf Millionen Jahren) bis hin zu unserem modernen Equus caballus.
Erst in den letzten 5000 Jahren hat der Mensch entscheidend in die Entwicklung des Pferdes eingegriffen. Diesen Prozess der Haustierwerdung nennt man Domestikation. Der Mensch hat bestimmte Merkmale aus den ursprünglichen Unterarten des Pferdes ausgewählt und je nach Verwendungszweck oder subjektivem Schönheitsempfinden verschiedene Rassen gezüchtet, indem er Elterntiere wählte, die den menschlichen Vorstellungen entsprachen und deren Gene an die folgenden Generationen weitergegeben wurden.
Das Pferd war schon immer ein Herdentier. Die Untersuchung des komplexen Rangordnungsverständnisses ist heute eine der Hauptaufgaben der Pferdeverhaltensforscher
Entwicklung von Verhalten und Persönlichkeit
Entwicklung von Verhalten und Persönlichkeit
U
m die Persönlichkeit eines Pferdes zu ergründen, müssen wir die ursprünglichen, vom Menschen unbeeinflussten Teile seines Lebens betrachten und verstehen. Wesentliche Züge seines Charakters prägen sich in den ersten Lebenstagen, -wochen und -monaten aus. Wir sollten gründlich abwägen, zu welchem Zeitpunkt und wie intensiv der Kontakt zwischen Mensch und neugeborenem Fohlen stattfinden sollte, damit das Pferd zu einem charakterlich stabilen und dem Menschen vertrauenden Individuum heranreift.
Ebenfalls unverzichtbar ist es, das Pferd als Mitglied einer Gemeinschaft zu betrachten, da Pferde in der Natur nicht immer, aber doch meistens in einer Herde leben. Das Herdenleben hat verschiedene Vorteile. Viele Augen sehen mehr als zwei, gemeinsam kann man sich besser vor Feinden schützen und jedes Tier kann im Ernstfall auf die Erfahrung der anderen zurückgreifen.
Wie wir sehen werden, ist die Gruppendynamik der Pferde weitaus komplexer und dem menschlichen Rollenverständnis ähnlicher als bisher vermutet. Man darf daher gespannt sein auf die neuen Erkenntnisse der Wissenschaft und sollte bis dahin die längst überholten und stark vereinfachten Erklärungsmodelle über Bord werfen. Es dreht sich auch im Leben der Pferde nicht alles um Rang und Status. Auch in der Natur sind Beziehungen ständig im Fluss.
Das Leben beginnt
Das Leben beginnt
Zunächst einmal ist die Mutter nach der Geburt für das Neugeborene die erste Bezugsperson. Hier werden entscheidende Weichen für das weitere Leben gestellt. Wird ein Fohlen von der Mutter liebevoll aufgenommen, wird es gelassener ins Leben starten als ein Fohlen, das unvermittelt ein Gefühl der Ablehnung erfahren muss. Deshalb tun wir den Pferden einen unschätzbaren Gefallen, wenn wir nur solche Stuten zur Zucht verwenden, die in der Lage sind, ihre Fohlen anzunehmen und zu umsorgen.
Hier werden die Weichen für ein ganzes Leben gestellt: Eine liebevolle Mutterstute bietet die besten Voraussetzungen dafür, dass das Fohlen vertrauensvoll die Welt erkundet.
Die erste Lebensphase im Fohlenleben ist die sogenannte Prägungsphase. Das Pferd ist ein „Nestflüchter„, was bedeutet, dass ein Fohlen weit genug entwickelt zur Welt kommt, um schon bald nach der Geburt aufzustehen, zu laufen und der Mutter zu folgen. Da Pferde schon so weit entwickelt geboren werden, kann man bereits in den ersten Stunden charakterliche Unterschiede feststellen. Es gibt den kleinen Draufgänger ebenso wie
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