Wie wir gut zusammen leben
letztlich nicht allzu viel zutrauen. Echte Solidarität und Mündigkeit – diese Fähigkeiten sprechen sie der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger ab. Solche Politiker verfolgen eine paternalistische Politik. Sie unterstützen alles, was hilft, Unruhe von den Menschen fernzuhalten. Insofern geben sie sich teilweise durchaus religionsfreundlich. Ohne die »Krücke« Religion, so die Ansicht dieser Politiker, kommen unmündige Menschen nicht durchs Leben. Wichtig sei jedoch, dass die Religionen sich auf ihren privaten Platz – die Kirche, die Synagoge und die Moschee – und die Fürsorge beschränken. Bekanntlich lasse sich ja mit der Bergpredigt keine Politik machen. Dieser Satz, zuerst von Otto von Bismarck formuliert, wurde und wird nicht zuletzt vom Altbundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) immer wieder zitiert. Politiker, die diesen Satz sprechen, schätzen die zivilreligiöse Funktion von Religion. Ihr Motto lautet: Kirche – ja! Reich Gottes – nein! Auch wenn diese Politiker, wohl wissend um den Einfluss von Religionen, diese in ihre Verantwortung nehmen wollen, um Religionskonflikte einzuhegen, so nehmen sie die Religionen und auch die Mehrheit der Menschen letztlich nicht wirklich ernst.
Neben diesen beiden Politikertypen lässt sich eine dritte Figur ausmachen. Es ist gerade dieser Typ, der zurzeit die Politik, genauer: den Politikbetrieb beherrscht. Politiker dieses Typs betreiben Politik technokratisch. Sie geben sich optimistisch-pragmatisch, konzentrieren sich auf ökonomische Fragestellungen. Der politische Diskurs wird hier fast ausschließlich um das Problem der Wirtschaft gruppiert. Diese Politiker weisen immer wieder darauf hin, dass eine florierende Wirtschaft nicht nur auf der Erkenntnis beruht, dass jeder etwas tun kann und zupacken muss, sondern dass erfolgreiches Wirtschaften auch eine bestimmte Mentalität voraussetzt: Optimismus. Optimismus steht aber nicht für Pathos, für Leidenschaft. Die Kanzlerin, Angela Merkel, verkörpert diesen optimistisch-pragmatischen Politikstil. Hier ließen sich jedoch auch viele andere Beispiele aus CDU, SPD und FDP nennen. Die Partei, die diese Position allerdings am stärksten vertritt, ist die FDP. Allen voran Philipp Rösler (FDP) und Christian Lindner (FDP). Ihr Credo kann auf die griffige Formel »Fördern und Fordern« gebracht werden. Fördern– sicherlich, finanzielle Absicherung gegen Armut ist wichtig, wer wollte das ernsthaft bestreiten; aber die Forderung des Forderns geht ins Leere, wenn Menschen sich unfähig fühlen, ihr Leben zu leben. Die Forderung nach Eigenverantwortung kann angesichts der sich ausbreitenden psychischen Beschädigungen nur als zynisch bezeichnet werden. Dennoch plädieren diese Politiker immer wieder für mehr Eigenverantwortung. Mit dieser Forderung nach Forderung insinuieren sie, dass sozial Schwache letztlich ja selbst schuld an ihrer Situation seien. Statt den Menschen zu zeigen, dass ihre Probleme die Probleme vieler anderer Menschen sind, dass sie – mit anderen Worten – gesellschaftliche Probleme sind, wird ein ganzer Apparat von Experten, Sozialarbeitern usw. mobilisiert, um den Leidenden einzureden, sie hätten ihre Probleme selbst verschuldet. Dadurch entledigen sich Politik und Gesellschaft dieser Probleme.
Menschen benötigen nicht bloß finanzielle Ressourcen. Und sie suchen auch nicht nur Arbeit, insbesondere herabgewürdigte Menschen suchen nach Anerkennung. Sie sind hungrig nach Identität, Sinn und Selbstachtung. Dies ist insbesondere für junge Menschen entscheidend. Um Eigenverantwortung übernehmen zu können, müssen Menschen ein starkes Selbst ausgebildet haben. Dafür brauchen sie nicht nur ökonomische und soziale, sondern auch kulturelle und religiöse Ressourcen. Aus diesem Grund muss Politik, vor allem Sozialpolitik, sich heute mehr als eine kulturelle Aufgabe verstehen. Materielle Güter sind wichtig zum Leben. Sie sichern uns nicht zuletzt das physische Überleben, aber sie sind kein Selbstzweck. Der Mensch strebt als Mensch ein gutes Leben an.
Menschen ist auch nicht damit geholfen, wenn ihnen Optimismus gepredigt wird. Optimismus, das spüren Menschen, hilft nicht in Krisensituationen. Warum nicht? Optimismus beinhaltet die Forderung, positiv zu denken. Optimismus ist der bewusste oder unbewusste Versuch, Krisen zu überspielen. Der Dramatiker Heiner Müller (1929–1995) hat dies treffsicher formuliert: »Optimismus ist Mangel an Information.« Optimismus und Nihilismus,
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