Wiedersehen in Barsaloi
auf und Corinne stand einige Wochen später erneut vor der Schule, diesmal aber allein. Wieder war sie auf der Suche nach meinem damals kranken Bruder. Ich sollte sie nach Barsaloi zu meiner Familie bringen. Ich versprach zu helfen, obwohl es für mich ein großes Problem gewesen wäre, die Schule für ein paar Tage zu verlassen. Bei uns verlässt man die Schule nur in den Ferien oder wenn jemand zu Hause gestorben ist. Es wäre wirklich nicht gut gewesen! Gott sei Dank hat sie dann die Lösung und den Weg allein gefunden.« Dabei schaut er mich lachend an. Vieles von dem, was er gerade aus seiner Sicht erzählt hat, ist für mich neu und dennoch zieht diese Zeit deutlich vor meinem inneren Auge vorbei.
Morgen ist es so weit. Ich trete erneut die Reise von Maralal nach Barsaloi an und werde Lketinga zum ersten Mal seit meiner Flucht vor vierzehn Jahren wieder gegenüber stehen. Ein mulmiges Gefühl kann ich nicht verleugnen. Das Feuer ist heruntergebrannt und wir alle fühlen uns von der langen Anreise und den ersten Aufregungen etwas erschöpft. Es wird vereinbart, dass wir James morgen früh bei der Post treffen und gemeinsam das Nötigste einkaufen werden.
Wir ziehen uns in die Zimmer zurück und ich freue mich, dass auch hier ein kleines Feuer im Kamin brennt. Bald liege ich unter einem Moskitonetz im Bett und warte auf den Schlaf. Doch jetzt, nachdem alles um mich herum ruhig ist, merke ich, wie aufgewühlt ich bin. Der Schlaf will nicht kommen, stattdessen steigt eine seltsame Traurigkeit in mir hoch. Je mehr ich nachdenke, desto größer wird meine Panik, dass ich morgen, wenn ich Mama und Lketinga sehe, heulen muss, was kein gutes Zeichen im Sinne der Samburu-Sitte wäre. Man vergießt nur Tränen, wenn jemand gestorben ist.
Ich stehe noch einmal auf, setze mich draußen vor die Türe und lausche in die Stille der Nacht. Bald ist Vollmond. Überall knackt es im Gebüsch, doch sehen kann ich nichts. Ein Affe keckert kurz in der Nähe und plötzlich höre ich aus der Ferne das Singen von Kriegern. Irgendwo da draußen haben sich Dutzende von Kriegern und Mädchen versammelt und tanzen im Licht des Mondes. Durch den Wind werden die Gesänge manchmal lauter, dann wieder leiser. Zwischendurch höre ich deutlich das Stampfen der Füße, das ab und zu durch einen kurzen spitzen Schrei unterbrochen wird. Ich sitze da, lausche und stelle mir vor, wie die schön geschmückten Krieger ihre hohen Sprünge ausführen, während die jungen Mädchen mit dem Kopf und dem schweren Halsschmuck im Takt mitwippen. Solchen Tänzen habe ich früher oft zugesehen, wenn mein Mann tanzte, und jedes Mal war es bewegend und aufregend.
Ich spüre, dass die Traurigkeit und die Unsicherheit gewichen sind und ich mich glücklich und frei fühle. Jetzt bin ich bereit, morgen die Familie zu treffen, und freue mich. Zufrieden schlüpfe ich erneut unters Moskitonetz, schnuppere die leicht rauchige Luft im Zimmer und schlafe bald ein.
Zur verabredeten Zeit treffen wir beim Postamt ein. Sofort sind die jungen Männer von gestern wieder um uns herum versammelt und wollen ihre Geschäftstüchtigkeit erproben. Überraschenderweise bekommt Albert, den wir zu meinem Schutz als meinen Vater ausgeben, heute einen traditionellen Rungu, einen Schlagstock aus Hartholz, geschenkt.
Erst als James erscheint und ein paar Worte mit den Jugendlichen wechselt, können wir uns einigermaßen in Ruhe auf dem Markt umsehen und für meine Schwiegermama eine schöne, warme Decke aussuchen. Im Gepäck habe ich schon zwei Decken, eine für Lketinga in orangerot, weil er diese Farben mag, und eine andere karierte für seinen älteren Bruder. Die Männer tragen diese auch als wärmende Kleidungsstücke. Mama bekommt für ihre Manyatta eine besonders dicke Wolldecke.
Danach fahren wir mit den Autos zu einem Laden, in dem man Lebensmittel in größeren Mengen kaufen kann. Wir ordern jeweils einen 25-Kilo-Sack mit Reis und Maismehl guter Qualität, verschiedene Speisefette, Teepulver, Süßigkeiten, Seifen und einiges mehr. Im Shop nebenan wird Gemüse verkauft. Auch hier bestellen wir mehrere Kilogramm Tomaten, Karotten, Kohl, Zwiebeln und Orangen. Für uns selbst müssen wir auch noch einiges besorgen, da wir ja nicht nur von Ziegenfleisch leben wollen.
Kurz vor der Abfahrt läuft James noch zum Tabakhändler, um sich 3 kg Kautabak einpacken zu lassen. Für die alten Menschen ist dieser fast wichtiger als Essen. In unserem Auto fährt eine traditionell schön
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