Wiedersehen in Barsaloi
mich traurig. Ich frage James, ob es denn für Saguna keine Möglichkeit gäbe, etwas Derartiges zu verhindern. »Nein, Saguna kennt nur dieses traditionelle Leben und daran kann man nichts ändern. Alles nimmt seinen Lauf. Sie wird ihre Zeremonie bekommen und später ein neues Zuhause bei ihrem zukünftigen Mann haben.« Er sagt dies so bestimmt und selbstverständlich, dass ich nicht umhin kann einzusehen, dass es noch ein langer Weg ist, bis diese Frauen ein Recht auf ein eigenständiges Leben haben werden.
In diesem Moment wird mir bewusst, wie absurd und zwiespältig meine eigene Einstellung ist: Einerseits bewundere ich die Schönheit und Farbenpracht der traditionellen Kleidung von Kriegern und jungen Mädchen und wünsche mir, dass die Samburu-Traditionen noch lange bewahrt werden mögen, andererseits hätte ich es gerne, wenn die Gebräuche und Rituale, die mein europäisches Empfinden stören, verändert würden. Diese Einsicht schmerzt mich und gleichzeitig bin ich froh, dass meine Tochter Napirai in der Schweiz aufwachsen kann. Sie ist ungefähr zwei Jahre jünger als Saguna und wenn sie hier leben würde, hätte sie wohl keine Chance, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, auch wenn ich noch so sehr darum gekämpft hätte.
Als wir etwas später das Haus verlassen, sehe ich Saguna unter der Akazie auf einem Stein sitzen. Sie spielt mit Shankayon und zwei anderen Mädchen. Ich setze mich neben sie und warte gespannt. Ihren schönen Kopfschmuck hat sie abgenommen, da es ihr wohl zu heiß ist. Ab und zu fasst sie mit den Händen unter ihren Halsschmuck und hebt ihn an, um etwas Luft an ihre Haut zu lassen. Plötzlich fragt sie nach Napirai. Ich versuche, etwas zu erzählen, komme jedoch aufgrund der Sprachprobleme nicht sehr weit. Deshalb bitte ich Shankayon, bei Mama das kleine rote Fotoalbum zu holen. Mittlerweile ist auch Lketinga wieder da und übersetzt für mich.
Nun möchte ich von ihr wissen, ob sie sich an mich erinnern kann, ob sie noch weiß, dass ich ihr einmal eine braune Puppe mitgebracht habe und wie wir öfter zusammen am Fluss waren. Sie beantwortet alles mit einem ernsten Nicken. Shankayon hüpft nun mit dem Album in den Händen auf uns zu und überreicht es Saguna. Sie blättert darin und beginnt natürlich mit den neuesten Bildern von meiner Tochter. Verwundert fragt sie, ob dies wirklich Napirai sei. Lketinga erklärt ihr ausführlich die einzelnen Bilder, auf denen Napirai im Schnee, auf dem Eis oder beim Badespaß abgebildet ist. Sie betrachtet alles mit Staunen und großem Interesse. Es muss für sie etwas Besonderes sein, ein Mädchen zu sehen, das nicht viel jünger ist als sie und in einer solch andersartigen Welt lebt, obwohl sie am gleichen Ort geboren wurde. Sicher kommt es ihr komisch vor, Napirai mit langen Haaren zu sehen. Ihr eigener Kopf ist kahl geschoren, denn lange Haare entsprechen hier bei Frauen und Mädchen nicht dem Schönheitsideal. An den Fotos, auf denen meine Tochter Jeans trägt, bleibt ihr Blick eine ganze Weile haften. Ich würde so gerne wissen, welche Gedanken ihr durch den Kopf gehen!
Mittlerweile beugen sich schon wieder mehrere Köpfe über das Album und vor allem Shankayon strahlt über die Fotos ihrer Halbschwester Napirai. Immer wieder durchblättert Saguna das kleine Album von vorne nach hinten und flüstert und lacht mit den anderen Mädchen. Ich setze mich näher zu ihr und betrachte ihre schlanken Arme, die mit mehreren farbigen Armreifen geschmückt sind. Nach einer Weile fragt sie mich: »Warum hast du Napirai nicht mitgebracht? Wo ist sie jetzt und bei wem?« Ich erzähle ihr, dass sie in der Schule ist und während meiner Abwesenheit bei der Familie einer Freundin aufgenommen wurde. Lketinga übersetzt und ergänzt, dass sie nach dem Schulende vielleicht auf Besuch kommen wird.
Saguna hört aufmerksam zu und berührt dabei sachte meinen Arm. Offensichtlich ist sie von meinem silbernen Armreif fasziniert, in dem sie sich spiegeln kann. Durch die sanften Berührungen fühle ich wieder die Nähe zu ihr, die sich während unseres Zusammenlebens in Mamas Manyatta aufgebaut hatte. Damals war sie für mich der kleine Sonnenschein, der in manch traurigem Moment den Tag erhellte. Ich komme mir hilflos vor, wenn ich an ihr Schicksal denke, denn ich kann sie nicht davor bewahren. Aber vielleicht würde sie das gar nicht wollen, sondern möchte hier in ihrem Stamm aufgenommen und respektiert werden. Ich wünsche ihr von ganzem Herzen, dass sie einen
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