Wiedersehen macht Liebe (German Edition)
hingegen hatte ein Praktikum im Büro der Staatsanwaltschaft von Zentral-Illinois ergattert. Auch wenn Praktika unter den Jurastudenten äußerst angesehen und heiß begehrt waren – besonders bei den Erstsemestern –, würde sie nur nach dem nicht ganz so glamourösen GS-5-Lohntarif bezahlt werden, womit sie nicht mehr als ihre Lebenshaltungskosten während des Sommers decken konnte. Wenn sie besonders sparsam war, würde es vielleicht noch für die Lehrbücher des nächsten Semesters reichen. Oder zumindest für eins davon. Diese Dinger waren verdammt teuer.
Doch trotz des mageren Gehalts freute sie sich auf das Praktikum. Sosehr sie auch über ihr Studentendarlehen schimpfte, sie hatte sich nicht wegen des Geldes für Jura entschieden. Was ihre Ausbildung und Berufslaufbahn anging, hatte sie einen Sechsjahresplan – sie liebte Pläne –, und ihr Sommerpraktikum war der nächste Schritt. Sie hoffte, nach dem Abschluss einen Referendariatsplatz bei einem Bundesrichter zu bekommen, und dann würde sie sich bei der US-Staatsanwaltschaft bewerben.
Im Gegensatz zu vielen Jurastudenten, die noch keine Ahnung hatten, für welche Fachrichtung sie sich nach dem Abschluss entscheiden sollten, war sich Rylann diesbezüglich schon vollkommen sicher. Seit sie zehn Jahre alt war, hatte sie gewusst, dass sie Strafverfolgerin werden wollte, und trotz der verlockend hohen Gehälter großer Anwaltskanzleien war sie niemals von diesem Entschluss abgewichen. Natürlich konnte man mit einem solchen Job die Rechnungen bezahlen – und noch einiges mehr –, aber Zivilprozesse waren Rylann zu trocken und unpersönlich. Firma X verklagte Firma Y auf mehrere Millionen Dollar in einem Verfahren, das sich über mehrere Jahre hinziehen konnte, ohne dass es jemanden kümmerte. Mit Ausnahme der Anwälte, die dreitausend Stunden pro Jahr dafür in Rechnung stellen konnten. Nein danke!
Sie wollte lieber jeden Tag im Gericht sein, mittendrin stecken und an Fällen beteiligt sein, die etwas bedeuteten . Und für sie gab es nichts Bedeutenderes, als Verbrecher hinter Gitter zu befördern.
Eine männliche Stimme von der anderen Seite des Tisches unterbrach ihren Gedankengang. »Drei Monate in Champaign-Urbana. Erklär mir noch mal, warum die Zweitbeste unseres Jahrgangs nichts Besseres gefunden hat.«
Die Stimme gehörte ihrem Kumpel Shane, der wie jeder an diesem Tisch ziemlich guter Laune war und ein alkoholisches Getränk in der Hand hatte. Rylann konnte sich den Grund für die Hochstimmung schon denken. Zusätzlich dazu, dass sie ihre Prüfungen hinter sich hatten, bedeutete die Sommerpause für Shane auch, dass er nach Des Moines zu seiner Freundin zurückfahren würde, nach der er hinreißend verrückt war – obwohl er diese Tatsache gerne machomäßig überspielte.
»Es zählt nicht, wo du bist«, sagte Rylann. »Sondern wie gut du dich dort schlägst.«
»Hört, hört!« Rae lachte und klatschte sie ab.
»Mach dich nur lustig«, erwiderte Shane. »Aber mein Wagen ist gepackt, aufgetankt und voll mit Süßigkeiten für unterwegs. Um sieben Uhr morgen früh werde ich dieses Kaff hinter mir lassen, egal ob es stürmt oder schneit.«
»Sieben Uhr morgens?« Rae warf einen demonstrativen Blick auf den Drink in Shanes Hand, seinen dritten bis jetzt. »Ich glaube nicht, dass das passieren wird.«
Er winkte ab und verschüttete dabei etwas von seinem Getränk. »Oh bitte! Als ob ein kleiner Kater einen verliebten Mann aufhalten könnte.«
»Oh, wie romantisch!«, sagte Rylann.
»Außerdem lebe ich seit zwei Monaten enthaltsam, und der Wiedersehenssex ist einfach unglaublich .«
»Das ist der Shane, den wir kennen und lieben.« Rylann trank ihr Glas aus und klirrte mit dem Eis darin. »Da wir gerade von Katern sprechen, ich glaube, die nächste Runde geht auf mich.« Sie sammelte die Bestellungen ihrer Gruppe ein und machte sich durch die Menge in Richtung Bar auf.
»Drei Amstel Light, eine Rum Cola, einen Gin Tonic und ein Corona mit zwei Limettenspalten«, teilte sie dem Barkeeper mit.
Rechts von ihr ertönte eine tiefe männliche Stimme.
»Klingt ja nach einer tollen Party.«
Rylann drehte sich in Richtung der Stimme um und …
Hoppla!
Kerle wie der, der sich gerade gegen die Theke lehnte, existierten in Champaign-Urbana normalerweise nicht. Genau genommen existierten Kerle wie der neben ihr an keinem ihr bekannten Ort.
Sein dunkelblondes, dichtes Haar war etwas länger und reichte gerade bis zum Kragen seines blauen
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