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Wiener Schweigen

Wiener Schweigen

Titel: Wiener Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Strohschein
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hier sind sehr misstrauisch. Ich habe heute die Familie Ritzberg gefunden, sie haben einen Heurigen circa acht Kilometer außerhalb des Ortes. Um mir das Geld für den Bus zu sparen, bin ich den ganzen Weg zu Fuß gegangen. Als ich dort ankam, haben sie mir nicht einmal ein Glas Wasser angeboten.
    Der Besitzer des Heurigen hat einen fast kahlen Schädel und ein Gesicht wie ein Frosch, ein widerlicher Typ. Ich bin mir sicher, er kann die Augen in alle Richtungen drehen. Seine Zunge ist ein paarmal über seine schmalen Lippen gefahren, während ich mit ihm gesprochen habe, und ich habe nur darauf gewartet, dass er sie hervorschnellen lässt, um eine Fliege zu fangen. Er dürfte der Enkel sein. Das ist auch die einzige Information, die ich bekommen habe. Sie haben mich fast aus dem Heurigen gejagt, als ich nach ihrem Großvater gefragt habe.
    Ich werde in der Jausenstation am Hafen nachfragen; wenn die Männer dort etwas getrunken haben, sind sie meist redseliger. Morgen gehe ich zum hiesigen Priester.
    Agnieszka fehlt mir sehr.

5
    Als Rosa am nächsten Tag über die Autobahn fuhr, war es kurz vor acht, und der Morgenverkehr wurde langsam stärker. Bei der Auffahrt zur Nordbrücke stand sie zwanzig Minuten im Stau, war aber trotzdem froh, nicht die Südroute nach Wien nehmen zu müssen. Die Stadt wurde im Sommer zu einem Schlachtfeld aus Baustellen und Umleitungen. Rosa hegte den Verdacht, dass die Gemeinde den Matzleinsdorfer Platz, die einzige Ausfahrt Wiens Richtung Süden, absichtlich regelmäßig zu Ferienbeginn Anfang Juli aufreißen ließ, um dadurch die Bevölkerung der Bundeshauptstadt schlagartig um ein paar Choleriker zu erleichtern. Die standen dort mit ihren Familien stundenlang im Stau und wurden in ihren Autos langsam gekocht, bis sie vor Wut der Schlag traf.
    Der Tag versprach heiß zu werden. Als sie über die Nordbrücke fuhr, vertrieb die aufkommende Hitze langsam den Morgennebel, der noch dunstig über der Donau und in den Weingärten am Kahlenberg hing. Bedrückt sah sie zum Leopoldsberg hinüber, die Hafenstraße war mit Sicherheit noch wochenlang unbefahrbar.
    Ab dem Franz-Josefs-Kai wurde der Verkehr immer dichter. Rosa überlegte, ob sie sich schnell ein ordentliches Frühstück im Café Prückel gönnen sollte, schließlich hatte sie noch eine halbe Stunde Zeit, bis sie sich mit Radoslav Beljajew treffen würde. Der Schanigarten des Cafés hatte im Juni sicher schon geöffnet, und Rosa sehnte sich nach einem Kaffee. Nach fünfzehn Minuten erfolgloser Parkplatzsuche im dichten Gassengewirr der Inneren Stadt verwarf sie ihren Plan allerdings wieder und beschloss, noch ein wenig durch das Diplomatenviertel zu kurven.
    Sie bog auf den Schwarzenbergplatz ab, in dessen Mitte die Wasserfontänen des Hochstrahlbrunnens in den Himmel schossen. Sie kurbelte das Fenster hinunter und spürte ein paar Tropfen, die durch den Wind zu ihr herübergeweht wurden.
    Das Diplomatenviertel begann in der Metternichgasse. Der Straßenlärm des Rennwegs wich hier einer beschaulichen Stille. Wohnpalais und palaisartige Mietshäuser reihten sich aneinander. Rosa bewunderte einen kleinen Vorgarten, dessen Pflanzen dank der akribischen Pflege eines Gärtners die Hitze nicht im Mindesten anzusehen war. Ein Hibiskusstrauch mit zartlila Blüten wucherte vor dem eindrucksvollen Eingangsportal eines Hauses mit späthistorischer Fassade. Die Blätter des Strauches schienen wie poliert, Wassertropfen glänzten auf ihnen.
    Rosa parkte gegenüber der russisch-orthodoxen Kirche in der Jauresgasse. Als sie vor der Kathedrale stand, riss der dunstige Morgenhimmel auf und spiegelte sich strahlend blau in den vergoldeten Zwiebelkuppeln der fünf Kirchtürme.
    Im Innern wurden die Fresken renoviert. Radoslav Beljajew überwachte die Arbeiten und hatte sich deswegen mit Rosa hier verabredet.
    Als sie im Hauptschiff stand, hob sie bewundernd den Blick zur Kuppel. Russisch-orthodoxe Kirchen sind grundsätzlich vollständig mit Wandmalereien ausgestattet, die die Heilsgeschichte der Bibel und der Heiligen darstellen. Die neuen Fresken der Kathedrale zum Heiligen Nikolaus waren von Archimandrit Zenon gestaltet worden. Der blaue Hintergrund der Ikonenzyklen ließ den Raum luftig wirken. Rosa hatte das Gefühl, dass sich der strahlende Himmel von draußen in der Kuppel angenehm kühl fortsetzte. Die Deckenbilder waren bereits fertiggestellt. Entlang der Wände standen hohe Gerüste, auf denen Arbeiter umherliefen und den Untergrund für die

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