Wikinger der Liebe
Wort verhallte, erfüllte schallendes Jubelgeschrei die Halle. Begeistert schlugen die Leute mit ihren Hornbechern auf die Tische. Der Lärm beunruhigte Raven und ärgerte Thorgold. Aber Krysta war fasziniert. Ein Jahr zuvor hatte sie diese Geschichte in der reichen Hafenstadt Sciringesheal gehört. Dort lebte der mächtige Norweger Wolf, ein listenreicher Krieger. Er hatte eine schöne Frau entführt und im Zorn zu einer Ehe gezwungen, in der die Saat wahrer Liebe gewachsen war. Lord Hawk holte seine gestohlene Schwester zurück. Nur Lady Cymbras Besonnenheit hatte einen Krieg verhindert. Für das Bündnis zwischen Wolf und Hawk interessierte sich Krysta ganz besonders, denn ihre eigene Heirat sollte es festigen. Dagegen hatte sie nichts einzuwenden. Wenn ihre Ehe dem Frieden dienen sollte - umso besser. Aber sie wollte auch geliebt
werden. Sonst würde das kalte graue Wasser, das ihre Mutter geholt hatte, auch sie in ein nasses Grab hinabziehen.
Zu der freudigen Stimmung, die in der Halle herrschte, passten diese düsteren Gedanken nicht, und Krysta verdrängte sie. Wenig später suchte sie mit Raven ihren Alkoven auf und hoffte Schlaf zu finden - an diesem seltsamen fremden Ort, den sie von jetzt an ihr Heim nennen musste. Für immer.
Bevor die letzten Sterne erloschen, der erste Hahn krähte und die Sperlinge in der Dachrinne des Frauenhauses zu zwitschern begannen, erwachte Krysta aus einem unruhigen Schlummer. Eine Zeit lang lag sie im grauen Schatten und wusste nicht, wo sie sich befand. Die Luft duftete nach Holz und Rauch. Wie daheim. Auch die Vogelstimmen klangen nicht anders. Aber das Klima war wärmer, und sie nahm einen schwachen Salzgeruch wahr. In der Ferne rauschten Wellen, die an eine sanftere Küste schlugen. Bald kehrten die Erinnerungen zurück und verscheuchten den letzten Nebel des Schlafs. Sie stand auf und musterte Raven, die immer noch schlummerte, den Kopf auf die Brust gesenkt.
Um die Freundin nicht zu stören, zog sich Krysta möglichst lautlos an. Sie wählte ein schlichtes Wollkleid, blau gefärbt mit einer Mischung aus Löwenzahnwurzeln, Waid und Wacholder. Um ihre Taille schlang sie einen Ledergürtel, an dem die traditionellen Gerätschaften einer vertrauenswürdigen Dienerin hingen - ein Messer, ein Fingerhut, ein kleiner Filzbeutel mit Nähnadeln und kostbaren Scheren, außerdem die Schlüssel ihrer Truhen. Sie bedeckte ihr Haar mit einem fein gewebten weißen Schal und warf ein Ende über die Schulter. Für den Tag gerüstet, schlich sie an den anderen Alkoven vorbei und trat ins Freie.
Verwundert beobachtete sie die Männer, die auf den Mauern patrouillierten. Schon zu dieser frühen Stunde? Oder hatten sie die ganze Nacht Wache gehalten? Vermutlich. Auch diese Vorsichtsmaßnahme zeugte von der Macht und Entschlossenheit des Festungsherrn.
In den Küchenräumen loderten bereits helle Flammen, und mehrere Dienstboten durchquerten den Hof. Das Tor blieb vorerst geschlossen. Nur an seiner Seite stand eine kleine Tür offen, um einige Frühaufsteher einzulassen. Im Schatten der Mauer huschte Krysta zu diesem Ausgang und wartete, bis eine Schar kichernder, geschwätziger Wäscherinnen hereingekommen und an ihr vorbeigeeilt war. Dann schlüpfte sie hinaus. Während sie den Hang hinablief, spürte sie ein seltsames Prickeln im Nacken und gewann beinahe den Eindruck, Hawkforte würde ihr missbilligend nachschauen.
Sie beschleunigte ihre Schritte und erreichte den Wald am Fuß des Hügels. Im Schutz der ersten Bäume hielt sie inne, um Atem zu schöpfen. Mit ihrer Heimat verglichen, wirkte die Szenerie mild und beschaulich. Ein Bach plätscherte in der Nähe, dessen Wasser über bemooste Felsen strömte und in einen stillen Teich mündete. Fast unmerklich ging dieses Gewässer ins Meer über, der fruchtbare Erdboden in feuchten Sand. Hier wuchsen keine Eichen, sondern Kiefern, und der süße Duft des Grases wich dem Salzgeruch der See. Krysta verließ den kühlen Schatten des Waldes und sah einen breiten Strand. Vor ihr erstreckte sich eine Bucht.
Impulsiv breitete sie ihre Arme aus, als wollte sie alles umfangen, was sie erblickte. Ihre Füße tanzten anmutig über den Sand. Lachend drehte sie sich im Kreis und wich den Wellen aus, die den Strand überspülten. Hinter ihr stieg die Sonne empor und tauchte die Küste in goldenes Licht.
Auch die übermütige junge Frau. Dahin und dorthin glitt ihre schlanke Gestalt, so schwerelos, dass ihre Sohlen den Sand kaum zu berühren
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