Wilde Schafsjagd
Sache«, sagte ich.
Das war an jenem Sonntagnachmittag im Juni, an dem sie mir plötzlich sagte, dass sie sich scheiden lassen wolle. Ich spielte gerade mit einem Bierdosenring.
»Das ist dir also egal?«, fragte sie. Sie sprach äußerst langsam.
»Egal nicht. Ich sage nur, dass es deine Sache ist.«
»Wenn ich ehrlich sein soll, will ich mich gar nicht von dir trennen.«
»Du brauchst dich ja nicht von mir zu trennen.«
»Aber es führt zu nichts, wenn ich bei dir bleibe.«
Sie sagte nichts weiter, aber ich glaubte zu wissen, was sie meinte. In ein paar Monaten würde ich dreißig werden, sie sechsundzwanzig. Im Vergleich zu der Größe all dessen, was uns noch bevorstand, war das, was wir bis dahin aufgebaut hatten, in der Tat winzig klein. Beziehungsweise gleich null. Wir hatten die vier Jahre damit verbracht, unsere Ersparnisse zu verfressen.
Zum großen Teil war es meine Schuld. Ich hätte nicht heiraten sollen. Zumindest nicht sie.
In der ersten Zeit hielt sie sich nicht für gesellschaftsfähig, mich dagegen für gesellschaftsfähig. Wir beide spielten unsere Rollen verhältnismäßig gut. Doch in dem Moment, da wir beide dachten, dass es ewig so weiterginge, zerbrach irgendetwas. Eine Winzigkeit nur, aber es wurde nie mehr so wie früher. Wir befanden uns mitten in einer idyllisch verlängerten Sackgasse. Das war unser Ende.
Für sie war ich jemand, den sie schon verloren hatte. Auch wenn sie mich noch geliebt hätte, es hätte nichts daran geändert. Wir hatten uns zu sehr an unsere Rollen gewöhnt. Ich konnte ihr nichts mehr geben. Sie wusste das instinktiv, ich aus Erfahrung. Wie auch immer, es gab keine Rettung mehr.
Also verschwand sie zusammen mit ihren Unterröcken für immer aus meinem Leben. Es gibt drei Möglichkeiten: Vergessenwerden, Verschwinden und Sterben. Und das ist nicht einmal überaus tragisch.
24. Juli, 08.25 Uhr morgens.
Ich sah auf die vier Ziffern der Digitaluhr, schloss die Augen und schlief ein.
DRITTES KAPITEL
September 1978
1. DER WALPENIS UND DIE FRAU MIT DEN DREI BERUFEN
Mit einer Frau schlafen kann man für ungeheuer wichtig halten oder, umgekehrt, für nichts Besonderes. Es gibt sozusagen Sex als Selbsttherapie und Sex als Zeitvertreib.
Es gibt solchen, der von A bis Z Selbsttherapie ist, und solchen, der von A bis Z Zeitvertreib ist. Außerdem gibt es Sex, der als Selbsttherapie anfängt und als Zeitvertreib endet, und umgekehrt. Was ich sagen will, ist, dass sich unser Sexualleben grundsätzlich von dem eines Wals unterscheidet.
Wir sind keine Wale – eine überaus wichtige These für mein Sexualleben.
* * *
In meiner Jugend gab es ungefähr dreißig Fahrradminuten von zu Hause entfernt ein Ozeanarium. Es herrschte dort immer kühle Aquariumsstille, nur von Zeit zu Zeit hörte man von irgendwoher dumpfes Wasserplatschen. Es war, als unterdrückte in einem Winkel der halbdunklen Gänge ein Wassermann das Atmen.
Thunfischzüge kreisten in einem riesigen Becken, Störe schwammen einen engen Kanal entlang, Piranhas schlugen ihre scharfen Zähne in Fleischklumpen, Zitteraale brachten hin und wieder winzig kleine Glühbirnchen zum Leuchten.
Es gab dort unzählige Fische. Alle hatten sie andere Namen, andere Schuppen und andere Kiemen. Ich begriff überhaupt nicht, warum es auf der Welt so viele Arten von Fischen geben musste.
Natürlich hatten sie dort keinen Wal. Ein Wal wäre viel zu groß gewesen, und selbst wenn man das Gebäude abgerissen und in ein einziges riesiges Wasserbecken verwandelt hätte, hätte man keinen halten können. Stattdessen war der Penis eines Wals ausgestellt. Als Ersatz sozusagen. Deshalb sah ich also während meiner sensiblen Jugendjahre anstelle eines richtigen Wals einen Walpenis. Immer, wenn ich genug hatte vom Spazieren in den kühlen, aquariumähnlichen Gängen, setzte ich mich auf das Sofa in der Halle mit der hohen Decke, wo absolute Stille herrschte, und verbrachte gedankenverlorene Stunden vor dem Walpenis.
Einmal sah er aus wie eine vertrocknete kleine Kokospalme, ein anderes Mal wie ein überdimensionaler Maiskolben. Wenn das Schild mit der Aufschrift »Geschlechtsorgan eines Wals, männl.« nicht gewesen wäre, hätte sicher niemand bemerkt, dass es sich um einen Walpenis handelte. Er wirkte nicht wie ein Produkt der Antarktis, eher wie ein Fundstück von Ausgrabungen in der Wüste Zentralasiens. Er unterschied sich von meinem und auch von allen anderen Penissen, die ich bis dahin gesehen hatte. Außerdem umgab
Weitere Kostenlose Bücher