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Wilde Schafsjagd

Wilde Schafsjagd

Titel: Wilde Schafsjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Auf dem Tisch stand der Blumentopf mit der verwelkten Geranie. Draußen besprenkelte jemand die Straße. Geräusch und Geruch von Wasser auf Asphalt.
    »Möchtest du Kaffee?«
    Immer noch keine Antwort.
    Als ich sicher war, dass keine Antwort kommen würde, stand ich auf, mahlte in der Küche Kaffeebohnen für zwei Portionen und stellte das Radio an. Dann, als das Pulver fertig war, fiel mir auf, dass ich lieber Eistee trinken würde. Mir fällt immer viel auf, wenn es zu spät ist.
    Aus dem Radio plätscherte ein morgendlich harmloser Popsong nach dem anderen. Bei dieser Musik hätte man glauben können, die Welt hätte sich in den letzten zehn Jahren kein bisschen verändert. Nur die Sänger und die Titel hießen anders. Und ich war zehn Jahre älter geworden.
    Das Wasser im Kessel kochte, und ich drehte das Gas ab. Ich ließ es dreißig Sekunden abkühlen und goss etwas auf das Kaffeemehl. Als das Mehl sich voll gesogen hatte und langsam aufzugehen begann, entfaltete sich ein wohliger Duft im Zimmer. Draußen waren schon ein paar Zikaden zu hören.
    »Bist du seit gestern Abend da?«, fragte ich mit dem Kessel in der Hand.
    Ihr Haar auf dem Tisch bewegte sich eine Idee auf und ab.
    »Du hast die ganze Zeit gewartet, oder?«
    Darauf antwortete sie nicht.
    Durch den Wasserdampf und die starken Sonnenstrahlen wurde es im Zimmer langsam schwül. Ich schloss das Fenster über der Spüle, machte die Klimaanlage an und stellte zwei Kaffeetassen auf den Tisch.
    »Trink doch«, sagte ich. Meine Stimme nahm langsam wieder ihren normalen Klang an.
    »…«
    »Der Kaffee tut dir bestimmt gut.«
    Sie ließ volle dreißig Sekunden verstreichen, hob dann in einer langsamen, gleichmäßigen Bewegung den Kopf von der Tischplatte und starrte auf die verwelkte Geranie. Ein paar dünne Haarsträhnen klebten an ihren feuchten Wangen. Eine Aura von feuchtem Dunst umgab sie.
    »Kümmer dich nicht drum«, sagte sie. »Ich wollte nicht weinen.«
    Ich hielt ihr eine Packung Kleenex hin. Sie putzte sich damit lautlos die Nase und strich sich mit den Fingern umständlich die Haare aus dem Gesicht.
    »Eigentlich wollte ich gehen, bevor du zurückkommst. Weil ich dich nicht treffen wollte.«
    »Und hast es dir dann anders überlegt.«
    »Nein. Ich hatte bloß keine Lust mehr, überhaupt noch irgendwohin zu gehen. – Aber ich geh jetzt, keine Angst.«
    »Trink jedenfalls erst mal deinen Kaffee.«
    Ich hörte mir den Verkehrsbericht im Radio an, schlürfte dabei meinen Kaffee und öffnete mit der Schere die zwei Briefe. Ein Möbelladen schrieb, ich bekäme 20 % Rabatt, wenn ich dort bis dann und dann Möbel kaufen würde. Das andere war ein Brief, den ich nicht lesen wollte, von jemandem, an den ich mich nicht erinnern wollte. Ich knüllte beide zusammen, warf sie in den Papierkorb und aß ein paar übrig gebliebene Käsecracker. Sie beobachtete mich, die Lippen am Tassenrand und beide Hände um die Kaffeetasse gelegt, als wolle sie sich wärmen.
    »Im Kühlschrank ist Salat.«
    »Salat?« Ich sah zu ihr auf.
    »Tomaten mit grünen Bohnen. War nichts anderes da. Die Gurken waren schon schlecht, deshalb hab ich sie weggeworfen.«
    »Ach so.«
    Ich holte die blaue Schüssel aus Okinawa-Glas mit dem Salat aus dem Kühlschrank und goss die letzten fünf Milliliter Dressing, die ich noch hatte, darüber.
    Die Bohnen und Tomaten schmeckten wie kalte Schatten. Auch die Cracker und der Kaffee hatten keinen Geschmack. Wahrscheinlich wegen der Morgensonne. Die Morgensonne zerlegt alles. Ich ließ den Kaffee stehen, holte eine zerdrückte Zigarette aus der Tasche, entzündete ein Streichholz an einem Heftchen, das ich mich nicht erinnern konnte, je gesehen zu haben, und steckte sie an. Die Zigarettenspitze knisterte trocken. Dann formte sich der violette Rauch in der Morgensonne zu geometrischen Mustern.
    »Ich war auf einer Beerdigung. Nach der Feier bin ich nach Shinjuku gefahren und hab mich die ganze Zeit alleine betrunken.«
    Von irgendwoher kam der Kater, gähnte ausgiebig und sprang mit einem Satz auf ihren Schoß. Sie kraulte ihn ein paar Mal hinter den Ohren.
    »Du brauchst mir nichts zu erklären«, sagte sie. »Ich hab damit nichts mehr zu tun.«
    »Ich erkläre nichts. Ich erzähle nur.«
    Sie zuckte mit den Achseln und schob den BH -Träger unter ihr Kleid zurück. Ihr Gesicht war vollkommen ausdruckslos. Es erinnerte mich an die versunkene Stadt auf dem Meeresboden, die ich irgendwann mal auf einem Foto gesehen hatte.
    »Eine flüchtige

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