Wilde Wellen
auch diese Frau. Diese Frau, die seine Mutter war. Und die er noch nie in seinem Leben gesehen hatte. War es wirklich so wichtig, sie kennenzulernen?
»Paul, jetzt komm endlich!« Sara stand vor ihm. »Das Sushi wird kalt.« Sie reichte ihm die Hand, wollte ihn mit sich mit in das Lokal ziehen.
Der rote Citroën schoss aus der kleinen Gasse. Jetzt endlich gelang es Jean, ihn zu überholen. Er setzte den Streifenwagen hart vor das rote Auto. Hubert Polin fluchte. Das durfte doch nicht wahr sein. So kurz vor seinem Ziel wollte ihn dieser Bulle aufhalten. Das würde er nicht zulassen. Er griff zur Pistole und sprang aus dem Auto. Da, vor dem Lokal, war sein Ziel. Er erkannte den Mann sofort. Er rannte los, entsicherte die Waffe. Keiner würde ihn hindern, seinen Auftrag auszuführen. Auch nicht dieser Bulle, der jetzt plötzlich vor ihm stand.
»Lassen Sie die Waffe fallen!«
Hubert Polin schoss.
Ein Aufschrei ging durch die kleine Gruppe. Sie rannten ins Lokal, jemand zog Sara mit sich.
»Paul!«, schrie sie.
Sie drehte sich nach ihm um. Und sah den Polizisten lautlos zu Boden gehen. Der junge Mann, der auf ihn geschossen hatte, achtete nicht auf ihn. Er kam auf das Lokal zu gerannt.
»Bleiben Sie stehen!«, schrie Marie. »Stehen bleiben!« Sie hatte ihre Waffe in Anschlag. Schoss in die Luft. Da drehte sich Hubert Polin zu ihr um. Sah ihr in die Augen. Aus dem Augenwinkel sah Marie Jean am Boden liegen. Wie verrenkt er auf dem Pflaster lag. Der rote Fleck auf seiner Uniformjacke wurde schnell gröÃer. Was für ein Albtraum! Sie spürte, wie ihr Herz gegen ihre Rippen schlug.
»Legen Sie die Waffe auf den Boden, und nehmen Sie die Hände über den Kopf!«
Hubert Polin schoss ein zweites Mal. Die Wucht der Kugel, die sie in die Schulter traf, warf Marie zu Boden. Der Schmerz brannte in ihrem Arm. Was passierte hier? Das war doch alles Irrsinn. Dieser Mann, er hatte auf sie geschossen! Und auf Jean. Die Gedanken rasten in ihrem Kopf, während sie zu Boden sank. Sie musste ihn stoppen. Wenn sie ihn nicht aufhielt, würde er weitermachen. Wie von weit entfernt hörte sie sich rufen, er solle stehen bleiben. Doch der Mann achtete nicht auf sie. Rannte weiter. Mit erhobener Waffe. Es würde ein Blutbad geben. Sie musste das einfach verhindern. Bevor ihr Kopf gegen den Rinnstein prallte, gab Marie einen Schuss ab. Hubert Polin sank zu Boden. Er starb, bevor er seinen Auftrag zu Ende bringen konnte.
Ãber den kleinen Platz senkte sich eine unwirkliche Stille. Einen Moment lang schien alles Leben zum Erliegen gekommen zu sein. Auch das immerwährende Rauschen des Pariser Verkehrs klang weit entfernt, gedämpft wie durch einen Wattebausch. Drei Menschen lagen auf dem StraÃenpflaster. Jean, der Polizist, war sofort tot gewesen, als die Kugel aus der Waffe des Junkies Hubert Polin seine Bauchschlagader zerfetzt hatte. Jeans Mörder lag ein paar Meter entfernt. Als Maries Kugel ihn getroffen hatte, hatte er ungläubig die Augen aufgerissen. So war das nicht geplant gewesen. Das war doch vollkommen absurd â nicht er hatte sterben sollen an diesem Tag! Er hatte doch nur einen Auftrag ausführen sollen. Und dann sollte sein neues Leben ⦠Bevor er den Gedanken zu Ende denken konnte, war es vorbei. Sein Herz, in dem die Kugel steckte, hörte auf zu schlagen. Ein letzter Seufzer drang aus seiner Brust, dann sank er auf die grauen Pflastersteine.
Sara und ihre Freunde standen wie im Schock im Eingang des Lokals. Und dann kam plötzlich Bewegung in die Gruppe. Paul lieà Saras Hand los. Er raste auf Marie zu. Hatte sich ihr Brustkorb nicht gerade bewegt? Die paar Meter zu der jungen Frau, die da auf dem Boden lag, kamen Paul vor wie ein Kilometer. Jetzt war er bei ihr, kniete sich neben sie. Und sah, dass sie tatsächlich noch atmete.
»Die Frau lebt!«, schrie er. »Ruft einen Krankenwagen!« Handys wurden gezückt, hektisch wurde gewählt. Paul sah das Blut, das aus der Wunde über Maries Herzen quoll. Was sollte er tun? Wie hilft man einem Menschen, der angeschossen wurde? Marie öffnete die Augen. Was passierte hier? Wer war dieser Mann über ihr? Sie sah, dass sich seine Lippen bewegten, aber sie konnte ihn nicht hören. Sie wollte ihm sagen, dass ihr kalt war. Vielleicht hatte er einen Pullover für sie. Vielleicht konnte er â¦
Paul sah das Flehen in Maries braunen Augen.
»Der Krankenwagen ist
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