Wilde Wellen
schon unterwegs. Gleich kommt Hilfe. Halten Sie durch.« Während er mit stammelnden Worten versuchte, Marie Mut zu machen, riss er sich das Hemd vom Körper. Er knüllte es hektisch zusammen und drückte es auf die blutende Wunde. Er musste den Blutfluss stillen. Er musste verhindern, dass diese Frau verblutete. Sie durfte nicht hier auf der StraÃe verbluten.
»Wo bleibt der Arzt?«, schrie er verzweifelt, während sich der Stoff seines grünen Hemds unter seinen Händen rot färbte. Sie verlor zu viel Blut. Wenn der Arzt nicht schnell kam, würde sie es nicht schaffen. Er hörte ein leises Stöhnen. Ob sie ihn hören konnte? Er beugte sich tief zu ihr hinunter.
»Sie schaffen das. Gleich ist der Arzt da.« Verdammt, wieso blutete sie so heftig? Er drückte das Hemd fester auf die Wunde. Und fühlte sich einfach nur hilflos. Da lag ein Mensch vor ihm und starb einfach. Er merkte nicht, dass aus seinen Augen Tränen flossen.
»Nicht sterben«, flüsterte er. »Bitte, Sie müssen kämpfen.«
Doch Marie schien den Kampf zu verlieren. Ihr Kopf sank zur Seite. Ihre Augen verdrehten sich und fielen dann einfach zu.
Fassungslos starrte Paul auf die junge Frau vor ihm. Das konnte doch alles nur ein Alptraum sein. So etwas passierte einem doch nicht an einem ganz normalen Tag in seinem Leben. Es war doch Saras Geburtstag. Sie wollten feiern, tanzen, sich betrinken. Es konnte doch nicht sein, dass er hier auf der StraÃe kniete, während ihm das Blut einer sterbenden Frau warm durch die Finger ran.
»Es ist gut, jetzt lassen Sie mich mal ran.« Paul hörte die Stimme des Notarztes, der sich jetzt neben die Frau kniete, wie aus weiter Ferne.
»Sie können loslassen.« Doch er verstand die Worte nicht. Drückte immer weiter fest auf die Wunde. Erst als der Notarzt seine Hand mit sanfter Gewalt von der Brust der jungen Frau löste, begriff Paul, dass er nichts mehr tun konnte. Er stand auf und sah sich um. Um ihn herum herrschte hektische Betriebsamkeit. Polizeiautos und Krankenwagen mit blinkenden Blaulichtern blockierten die StraÃe. Polizisten drängten die Schaulustigen zur Seite.
»Hier gibt es nichts zu sehen. Machen Sie Platz.« Einer legte eine Decke über seinen toten Kollegen, ein anderer stand leichenblass vor dem toten Körper des Mannes, der diese Katastrophe verursacht hatte.
Zwei Männer eilten mit einer Trage heran, der junge schwarze Notarzt kümmerte sich mit routinierter Professionalität um die junge Frau.
»Wird sie durchkommen?«, hörte Paul sich fragen. Er wollte, er musste wissen, ob sie leben würde. Doch er bekam keine Antwort.
Jetzt war Sara bei ihm. Tränenüberströmt drängte sie sich an ihn. Sie schluchzte und zitterte.
»Paul. Oh mein Gott, Paul.« Ihre Augen waren weit aufgerissen. Es war deutlich, dass sie unter Schock stand.
»Sind Sie verletzt?« Ein junger Polizist stand vor Paul. »Sie sind voller Blut.«
»Ich bin okay.« Paul sah zu der jungen Frau hin, die nun auf die Trage gehoben wurde. Atmete sie noch? Er konnte nicht sehen, ob sich ihr Brustkorb noch hob. Aber würde der Arzt, der neben der Trage herlief, die Sauerstoffmaske auf ihr Gesicht pressen, wenn sie tot wäre?
»Wird sie es schaffen?« Paul wollte sich nicht von dem Polizisten wegdrängen lassen. Er stürzte zum Krankenwagen, in den die Trage geschoben wurde. Jetzt drehte sich der Arzt zu ihm um.
»Das haben sie gut gemacht. Wenn Sie nicht gewesen wären, wäre sie wohl verblutet.«
8
Das kleine Restaurant Café du Port von Michel Dumont lag einladend beleuchtet am Rand des Hafens von Concarneau. In der Schwärze des Unwetters wirkte es wie ein warmer Zufluchtsort, in den man sich vor Sturm, Regen und Blitz flüchten konnte. Die gemütliche Gaststube, die mit hübschen Antiquitäten eingerichtet war, war bis auf den letzten Platz besetzt. Wie jeden Abend. Die Küche von Michel Dumont war weit über Concarneau hinaus für ihre exquisiten Speisen und ihre erlesenen Weine bekannt. Wer einmal Michels berühmte Fischsuppe, deren Rezept er noch niemandem verraten hatte, gegessen hatte, kam immer wieder. Dazu kam, dass vor ein paar Jahren eine Gourmet-Zeitschrift einen begeisterten Artikel über das kleine Hafenrestaurant gebracht hatte, was dazu geführt hatte, dass man ohne Reservierung keinen Platz mehr im Café du Port bekam. Es sein denn,
Weitere Kostenlose Bücher