Wilder als der Hass, süsser als die Liebe
großen Saales in ihrem Anwesen gefunden. Sie hatte hysterisch geweint, ihr schönes Gesicht war von ihren eigenen Nägeln zerschunden gewesen. Entsetzt war er losgelaufen, um Hilfe zu holen.
Es hatte Stunden gedauert, bis sein Vater seine Frau lange genug allein lassen konnte, um seinen Sohn zu suchen, der sich in einer Ecke auf dem Speicher verkrochen hatte. Sein Vater hatte ihn mühsam hervorgelockt, auf seinen Schoß gesetzt und ihm mit kaum verhohlenem Kummer erzählt, daß sie sich ein Kind gewünscht hatten, das sie genauso wie ihn, Ross, hätten lieben können, aber daß es nicht sein sollte und seine Mutter nun das Baby betrauerte, das niemals geboren werden würde.
Es brauchte lange, bis die Duchess wieder wie früher war, und sie wurde nicht mehr schwanger - Ross nahm an, daß sein Vater Vorkehrungen getroffen hatte, um seiner Frau weitere körperliche und seelische Qualen zu ersparen, aber Ross konnte den Gram seiner Eltern niemals vergessen. Und nun, zwölf Jahre später, konnte er ihren Kummer nachvollziehen.
Und doch war es nur eine Qual unter vielen, ein sehnsuchtsvoller ferner Schmerz, der nicht wirklich real war. Viel unmittelbarer war die herzzerreißende Geschichte von dem, was auf Malta geschehen war. Wie ein Kaleidoskop, das man kurz drehte, hatte die gesamte Vergangenheit nun ein vollkommen anderes Muster angenommen.
Nun, da er alles wußte, konnte er ihre Behauptung glauben, daß sie niemals aufgehört hatte, ihn zu lieben, denn er verstand, daß sie nicht Mangel an Liebe von ihm ferngehalten hatte, sondern ihr Schuldgefühl, das ihre Seele auffraß. Wenn die Vorzeichen umgekehrt gewesen wären, hätte er sich wahrscheinlich genauso schändlich und wertlos gefühlt, und da er dies begriff, konnte er sie nicht verdammen.
Der Wind streichelte sein Gesicht wie eine kühle Hand, und er merkte, daß seine Wangen feucht waren. Es war passend, denn er hatte das letzte Mal auf Malta geweint, als er den Verlust seiner Frau beklagt hatte. Damals hatte er um seiner selbst willen Tränen vergossen, doch diesmal weinte er um Juliet und um das Wissen, wie anders die Dinge sich hätten entwickeln können.
Es war ein Beweis für Juliets grimmiges Ehrgefühl, sich selbst die Schuld an der Sache zu geben, statt jemand anderen anzuklagen. Und doch war sie selbst doch kaum mehr als ein Kind gewesen, so verwirrt und gequält, daß sie sich ihr eigenes Leben hatte nehmen wollen. Und schließlich - so lebendig, zu kraftvoll, um es ein zweites Mal zu versuchen, doch überzeugt, daß ihre Sünden niemals wieder gutgemacht werden konnten - hatte sie allem, was sie kannte, den Rücken zugekehrt und war bis ans Ende der Welt gelaufen, wo sie ihre persönliche Kraft und ihre finanziellen Mittel einsetzte, um anderen zu helfen.
Ross hob eine Hand zu der pochenden Wunde unter seinem Verband, die wie die Trommeln des Königs von Buchara hämmerte. Innerlich fühlte er sich hohl und ausgelaugt, er verspürte eine seltsame Leere, die er nicht richtig definieren konnte.
Doch langsam begriff er, daß sie nicht von Verlust herrührte, sondern von Befreiung. Jahrelang hatte seine Ehe aus Schmerz, Qual und Wut bestanden, tiefe Empfindungen, die seine Persönlichkeit geformt hatten, doch nun, da er wußte, daß Juliet ihn nicht verlassen hatte, weil er furchtbar versagt hatte, löste sich sein Schuldgefühl auf. Und - endlich wichtiger noch als dies - er erkannte, daß auch sein Zorn verflog.
Auf Malta, als er feststellen mußte, daß seine Frau ihre Liebe und die Eide der Ehe verraten hatte, hatte seine Wut dem schrecklichen Gefühl der Vernichtung in nichts nachgestanden. Doch mit der Zeit war der Zorn verebbt, bis er wie eine chronische Erkrankung stets unter der Oberfläche pulsierte.
Doch nun kannte er die Wahrheit. Und die Wut verwandelte sich in tiefes Mitleid für ein verzweifeltes, ängstliches Mädchen.
Er wandte sich wieder um. Juliet hatte sich in einer dunklen Ecke des Diwans zusammengerollt, den Kopf gesenkt, und ihre Haare lagen wie ein kupferfarbener Schleier der Trauer über ihren hochgezogenen Knien. Seine Frau. Mit jedem Atemzug, jeder Faser ihres Körpers, mit ihrem ganzen Wesen gehörte sie ihm. Während er sie ansah, legte sich der Sturm der Gefühle in seinem Inneren und hinterließ eine durch Kummer erzeugte Klarheit in seinem Verstand. Die Vergangenheit konnte nicht verändert werden, man konnte nur aus ihr lernen. Was nun zählte, war die Zukunft, und er begriff sehr deutlich, daß er die
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