Wilder Wein
wird ihm ebenfalls bald gehören.«
»Übertreiben Sie nicht?«
»Nein. Einer meinte gestern erst wieder: ›Ich möchte wissen, was sich der auch in Trier schon alles unter den Nagel gerissen hat. Ganze Wohnblöcke!‹ Und nicht nur in Trier, glaube ich.«
»Nicht möglich!«
»Doch, doch!« Der Eisenbahner schien ein Gegner übertriebenen Reichtums anderer zu sein. »Der erstickt noch an seinem Geld!«
Dem Mann einen Dank für seine Auskünfte zunickend, setzte Ingrid Rehbein ihren Weg fort. Das Licht, in dem sich ihr Wehlen zeigte, hatte sich wieder etwas aufgehellt.
»Herr Ober«, fragte Fritz Brühe abends den Kellner, der ihm die von ihm bestellten Kalbsnierchen an den Tisch brachte, »läßt sich eigentlich Fräulein Selzer im Lokal ihres Vaters hier öfters sehen?«
»Das kann man wohl sagen.«
»Heißt das«, freute sich Fritz, »daß sie sich sehr häufig hier sehen läßt?«
»Sie ist hinter allem her.«
»Wohl sehr rege, die Dame, wie?«
»Und tüchtig! Beides muß ja zusammenkommen, wenn die ganze Regsamkeit nicht verpuffen soll, sagte mein Großvater immer.«
»Sehr richtig.«
»Was darf ich Ihnen zu trinken bringen, Herr Brühe?«
Des Malers Miene verdüsterte sich ein bißchen.
»Irgendein Glas Wein, Herr Ober.«
»Wäre Ihnen ein schönes Pils lieber?«
»Herr Ober«, stieß Fritz hervor, »seien Sie kein Sadist. Sie kennen das Gebot, das auf mir lastet.«
»Das Gebot wurde aufgehoben.«
»Von wem?« fragte Fritz Brühe verblüfft.
»Von Fräulein Selzer.«
»Von der?«
»Ja.«
Fritz neigte spontan dazu, darin einen glatten Liebesbeweis zu sehen.
Ein neuer Gast betrat das Restaurant und blickte sich suchend nach einem Platz um. Der Kellner mußte sich dann um ihn kümmern.
»Entschuldigen Sie«, sagte er zu Brühe.
Die Nierchen schmeckten köstlich. Sie konnten darin nur noch übertroffen werden von dem kühlen Glas Bier, das ein Pikkolo dem Maler servierte.
Nach dem Essen ließ Brühe seinen Blick umherschweifen und entdeckte an einem Tisch in der Nähe der Tür zur Bar eine einzelne Dame, die er nach Männerart ganz automatisch innerlich abzutaxieren begann:
Nicht schlecht, die Kleine.
Was heißt ›Kleine‹?
Klein ist sie gar nicht; sie sitzt zwar, aber einssiebzig wird sie schon messen.
Oder sogar einsfünfundsiebzig.
Gute Beine.
Auch kein schlechter Busen.
Die ganze Figur gut.
Das Gesicht allerdings …
Nun, man sieht, daß sie nicht mehr die Jüngste ist.
Dreiunddreißig, schätze ich.
Kann auch noch älter sein.
Dafür aber, muß man sagen, sieht ihre Larve nicht schlecht aus.
Warum ist sie allein?
Hat sie keinen Mann?
Braucht sie einen?
In diesem Alter sind sie besondern hinter einem her.
Fritz Brühe ließ sich ein neues Bier bringen, das ihm diesmal der Kellner selbst servierte.
»Schmeckt's, Herr Brühe?«
»Hoffentlich! Hoffentlich ist auch Herr Selzer einverstanden mit dem, was hier geschieht.«
»Sicher nicht, wie ich ihn kenne, aber das macht seine Tochter schon ab mit ihm, wie ich sie kenne. Wahrscheinlich hat sie es bereits getan.«
»Wo bleibt sie denn heute?«
»Heute?«
»Sie sagten doch, daß sie sich sehr oft hier sehen läßt.«
»Heute nicht mehr. Sie ist, soviel ich weiß, nach Bernkastel gefahren.«
Dann eben nicht, dachte Fritz etwas enttäuscht nach und fragte den Kellner: »Kennen Sie die Dame dort drüben?«
»Welche? Die in dem blauen Kleid? Das ist unsere Zahnärztin. Der Mann neben ihr ist ihr Gatte, ein Rechtsanwalt. Verdient nicht die Hälfte von ihr. Was sage ich – nicht ein Zehntel! So ist das heutzutage.«
»Ich meine die in dem lila Kleid.«
»Die einzelne?«
»Ja.«
»Die wohnt auch hier im Haus, aber ich sah sie heute zum erstenmal. Scheint eine Bekannte vom Chef zu sein.«
»So?«
»Ja«, nickte der redselige, alles andere als diskrete Kellner. »Als ich ihr die Karte brachte, sagte sie mir, sie will mit dem Essen warten, bis Herr Selzer kommt, mit dem sie verabredet ist. Um sieben Uhr, sagte sie.«
»Jetzt ist es aber schon halb acht«, meinte Fritz Brühe, nach einem raschen Blick auf seine Armbanduhr.
Der Kellner zuckte die Achseln.
»Die Geschäfte des Herrn Selzer halten ihn oft auf.«
»Der Dame scheint die Zeit lang zu werden. Sie raucht eine Zigarette nach der anderen.«
Der Kellner blickte zum Eingang.
»Da kommt ja Herr Selzer.«
Der Winzer ließ es sich nicht nehmen, den jungen Maler per Handschlag zu begrüßen.
»Wie geht's?« fragte er. »Was macht das
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