Wilder Wein
Bild?«
»Michelangelo«, übertrieb Brühe, »malte an der Decke der Sixtinischen Kapelle Jahre!«
»Michelangelo«, antwortete Selzer, »war das der … der …«
Er gab es auf. Kunstgeschichte ist nur der wenigstens Winzer Stärke.
»Unsere Abmachung«, fuhr er fort, »beläuft sich auf drei Wochen, Herr Brühe.«
»Knapp drei Wochen, Herr Selzer.«
»Und? Klappt das?«
»Keine Bange, Herr Selzer.«
Der Winzer riß einen Witz.
»Ihr Bild wird ja auch viel kleiner als eine Kapellendecke.«
»Und nicht ganz so gut wie jenes, muß ich bekennen, verehrter Herr Selzer.«
Der Winzer zuckte zusammen.
»Soll das heißen, daß ich für mein Geld nichts Besonderes zu erwarten habe?«
»Das soll es keinesfalls heißen, Herr Selzer. Sie werden zufrieden sein.«
»Ich hoffe es.«
Damit wandte sich der Winzer ab und gab dem Kellner ein Zeichen, ihm zur Theke zu folgen. Dort sagte er zornig: »Hatte ich nicht angeordnet, daß dem nur Wein serviert werden soll?«
»Ja, aber –«
»Aber Sie haben meiner Anordnung zuwidergehandelt, Herr Gollwitzer!«
»Herr Selzer …«
»Was?«
»Ihre Anordnung wurde von Ihrer Tochter aufgehoben.«
Selzer schluckte.
»Wann?«
»Heute nachmittag.«
»Da fuhr die doch schon nach Bernkastel?«
»Vorher hat sie hier noch telefonisch Bescheid gesagt.«
Der Winzer verstummte. Sein mißbilligender Blick wanderte noch einmal hinüber zu dem Bierglas, das vor dem Maler auf dem Tisch stand. Es war ihm sofort ins Auge gefallen, als er das Lokal betreten hatte.
»Sonst alles in Ordnung?« fragte er pro forma den Kellner.
»Ja.«
Er wollte sich abwenden, doch der Kellner hinderte ihn daran noch einmal, indem er, zum Tisch des Malers hinnickend, sagte: »Herr Selzer …«
»Ja?«
»Was gilt nun: Bier oder Wein?«
»Bier.« Das kam ziemlich gepreßt zwischen den Zähnen des Winzers hervor.
Inzwischen war es schon fast Viertel vor acht, und Ingrid Rehbeins Begrüßungsworte fielen dementsprechend aus, als Selzer vor sie hintrat.
»Welche Freude! Du kommst also doch noch!«
»Entschuldige, eher ging's nicht.«
»Ich bin am Verhungern.«
»Du hast noch nicht gegessen?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Ich dachte, wir würden das zusammen tun.«
Er erhob sich noch einmal halb von dem Stuhl, auf den er sich gesetzt hatte, und rückte ihn besser zurecht.
»Also das«, sagte er dabei, »mußt du dir von Anfang an abgewöhnen. Wann ich esse, weiß ich vorher fast nie. Ich habe auch mit meiner Frau nur ganz selten zusammen gegessen. Muß ja auch nicht sein. Man ißt, wenn man Zeit und das Bedürfnis dazu hat. Gesellschaft ist dabei nicht notwendig. Solltest du aber nun den Eindruck haben, daß Essen keinen besonderen Stellenwert für mich besitzt, so irrst du dich.« Er lachte und klopfte sich auf seinen dicken Bauch. »Sieh mich an, das muß dir doch genügen.«
Ganz übergangslos griff er nach der Speisekarte und fing an, sie durchzusehen, nachdem er die Brille aufgesetzt hatte.
Ingrid Rehbein schwieg. Erst nach einer Weile fragte sie: »Hast du denn schon gegessen?«
Er nickte, ohne seinen Blick von der Karte zu wenden, und erwiderte: »Ja, allerdings nur etwas Kaltes im Büro, aber …«
Er legte die Karte beiseite, setzte seine Brille ab und steckte sie ins Futteral.
»Aber ein gefülltes Täubchen«, schloß er, »könnte mich trotzdem noch reizen.«
Er winkte dem Kellner und bestellte: »Zwei gefüllte Täubchen; keine Beilagen.«
Ingrid Rehbein wußte scheinbar nichts zu sagen. Stumm zündete sie sich eine Zigarette an. Er folgte ihrem Beispiel, dann setzte er abermals die Brille auf, ergriff die Karte und sah sie noch einmal durch, von oben bis unten.
»Ein Fischgericht ist zuwenig«, erklärte er zum Schluß. »Darüber muß ich mit Anne reden.«
»Wer ist Anne?« fragte ohne eigentliches Interesse Ingrid Rehbein. »Die Köchin?«
»Nein, meine Tochter. Sie kümmert sich um den Laden hier.«
»Macht sie's gut?«
»Ja. Nur manchmal entdecke ich einen Fehler. Ein Fischgericht zum Beispiel ist, wie ich schon sagte, zuwenig.«
»Lerne ich sie kennen?«
Nicht gerade begeistert erwiderte Selzer: »Das wird sich wohl nicht vermeiden lassen.«
Daraufhin verstummte Ingrid Rehbein wieder, bis er sagte: »Sie wächst mir schon ganz schön über den Kopf.«
»So?«
»Anordnungen von mir wirft sie über den Haufen, ohne sich das Geringste dabei zu denken. Wie das auf das Personal wirkt, ist ihr anscheinend völlig egal.«
»Du machst mich ja direkt neugierig auf
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