Wildes Erwachen
weil hier genügend Platz für den erwarteten Ansturm der Presse vorhanden war.
Kral hatte es geahnt: Dr. Wohlfahrt hatte sich für den bilingualen Modus entschieden. Schließlich könne man bei den tschechischen Journalisten nicht unbedingt die Beherrschung der deutschen Sprache voraussetzen. Brückner hob die Hand.
»Bitte, Herr Major!«, lächelte der Staatssekretär gnädig.
»Zieht nicht, Ihr Argument! Von drüben kommt niemand«, lautete die knappe Botschaft, die Wohlfahrt als schallende Ohrfeige empfinden musste.
Nur ein kurzer Biss auf die Unterlippe ließ seine Bestürzung ahnen, dann hatte er schon wieder sein Standardlächeln im Gesicht: »Und warum, bitteschön, sollte niemand kommen?«
»Weil die Staatsanwaltschaft Pilsen die Presse bereits mit einer Erklärung bedient hat.«
»Nun, gut!«, reagierte er, indem er die Vokale kräftig dehnte, »ich denke, wir bleiben trotzdem bei dem geplanten Modus Operandi, schließlich ist er ja in der Einladung an die Presse angekündigt!« Er hatte sich jetzt nicht mehr an Brückner gewandt, sondern an den Leiter der tschechischen Delegation, Generalmajor Lukaš.
Der nickte und Dr. Wohlfahrt konnte sich der Sitzordnung zuwenden, die allerdings durch die Platzierung von Namensschildern bereits vorgegeben war. Zum Erstaunen Krals fand sich auch Aneta Kučerovás Namenskärtchen auf einem der Tische. Er zupfte Brückner am Ärmel und deutete auf das Schild: »Und? Wo bleibt sie?«
Der Major lächelte entspannt: »Keine Angst, Jan, sie kommt gleich!«
Natürlich hatte der Politiker den Vorsitz. Rechts von ihm saß, aus der Sicht der Zuhörer, der Chef des GPZ, dann Kral als Dolmetscher und schließlich Schuster und Ploß. Auf der anderen Seite hatten Generalmajor Lukaš, Oberleutnant Kučerová, Major Brückner und Hauptmann Svoboda Platz genommen.
Bevor Dr. Wohlfahrt loslegte, wurden alle Mikrophone auf ihr einwandfreies Funktionieren getestet, denn noch war die Pleite bei der letzten gemeinsamen Pressekonferenz nicht vergessen, als sich der Politiker plötzlich an die Peripherie gedrängt sah, weil nur sein Mikrophon funktioniert hatte und deshalb von den Leuten in Beschlag genommen worden war, die wirklich etwas zu sagen hatten.
Die Resonanz war eher enttäuschend: Nur etwa 15 Medienvertreter hatten sich in dem Raum eingefunden, der locker 100 Menschen gefasst hätte.
Immerhin ging es um ein Bündel schwerer Verbrechen, das von Entführung, Vergewaltigung über Menschenhandel bis hin zum Mord reichte. Wäre es um das Schicksal eines entführten kleinen Mädchens gegangen, hätten wir einen vollen Saal, dachte Kral. »Geh mir doch weg mit Menschenhandel!«, hatte ihn einmal ein Bekannter aufgeklärt, »niemand wird gezwungen, seine Heimat zu verlassen, und wer sich in Gefahr begibt, der kommt darin um!« Das »Basta« hatte er damals weggelassen, aber den Grund für die geringe Resonanz der Presse könnte er korrekt beschrieben haben.
Dr. Wohlfahrt zeigte sich »mit Stolz erfüllt, diese Pressekonferenz moderieren zu dürfen«. Nach der Vorstellung seiner »Beisitzer« folgte ein Exkurs über die bayerisch-tschechischen Beziehungen, »die in ihrer Vorbildlichkeit durchaus als Blaupause für ganz Europa« gelten könnten. Die Journalisten, die nicht an einer Regierungserklärung, sondern an Fakten interessiert waren, wurden zunehmend unruhig.
Generalmajor Lukaš, von Aneta Kučerová übersetzt, fasste sich kurz: Dank einiger aussagebereiter Frauen sei die Zerschlagung eines Menschenhändlerringes gelungen, der junge Frauen, vornehmlich aus der Ukraine, unter falschen Versprechungen in die Prostitution gezwungen habe. Zu diesem Zweck seien Scheinfirmen gegründet worden, die mit einer Arbeitsgenehmigung auch das Aufenthaltsrecht für die Frauen erwirkt hätten. Die Verbindungen hätten bis nach Deutschland gereicht, wohin man über ein Heiratsinstitut Frauen als Animierdamen, Prostituierte und billige Arbeitskräfte vermittelt habe. Gezielt seien auch Männer angesprochen worden, die nur an der Verfügung über die Kinder der Frauen interessiert gewesen seien. Zurzeit seien 14 Personen in Haft, darunter auch das Führungspersonal der kriminellen Vereinigung.
In der Folge ging Schuster, übersetzt von Kral, auf den Mord an Fritz Nürnberger ein und berichtete dann ausführlich über die Leidensgeschichte »einer ukrainischen Staatsbürgerin«, die aus einem tschechischen Bordell nach Deutschland entführt und auf einem Kolkenreuther Bauernhof von der
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