Wildes Herz
richtete sich mühsam auf. Sein Kopf tat weh, und ihm war schwindlig. „Sobald Cascabel nüchtern ist, findet er deine Spuren. Er würde den Weg einer Schlange auf nacktem Fels erkennen. Hau ab, Junge, solange du noch kannst.“
Janna sah die plötzliche Blässe des Fremden und die Schweißtropfen auf seinem Gesicht. Sie wollte ihm sagen, dass er sich besser hinlegte und nicht bewegte, sonst hätte er nur unnötige Schmerzen. Aber womöglich musste er bald aufstehen und weiterrennen, um sich woanders zu verstecken. Sie sollten herausfinden, wie viel Kraft ihm geblieben war. Dann konnte seine Schwäche sie nicht überrumpeln.
„Ich habe eine falsche Spur gelegt. Sie führt in ein enges Seitental ohne Ausgang, hinten im Mustang Canyon“, sagte sie leise. „Hinausgeklettert bin ich durch einen Schacht. Zu dem Zeitpunkt habe ich nicht mehr geblutet. Es gibt dort keine Spur von mir.“
„Geblutet?“ Ty sah auf und musterte den Jungen angestrengt. Vor Schmerz wurde ihm rot und schwarz vor Augen. „Bist du verletzt?“ „Ich habe mich selbst geritzt“, sagte Janna und löste das Halstuch vom Arm. „Cascabel wusste, dass Sie bluteten. Ohne Blut würde er nicht glauben, dass es Ihre Spur ist.“
Die letzte Stofflage klebte blutverkrustet auf Jannas Haut. Sie befeuchtete sie mit etwas Wasser aus der Feldflasche, biss die Zähne zusammen und riss den Stoff ab. Für einen Moment öffnete sich die Wunde wieder, dann hörte sie auf zu bluten. Sie schien nicht entzündet. Trotzdem nahm Janna eine Hand voll zerriebener Kräuter aus dem Lederbeutel und streute das Pulver darüber.
„Alles in Ordnung?“ fragte Ty dumpf.
Sie blickte auf und lächelte. „Klar. Papa hat immer gesagt, wenn die Klinge scharf ist, heilen Schnitte besser. Deshalb schärfe ich meine Messer sorgfältig. Sehen Sie? Keine Anzeichen für eine Entzündung.“
Er sah auf die lange rote Linie an der Außenseite des schmächtigen Oberarms. Der Junge hatte sich absichtlich geschnitten, um mit seiner Blutspur Cascabel abzulenken.
„Dein Papa hat einen tapferen Jungen aus dir gemacht.“
Janna hob jäh den Kopf. Fast hätte sie dem Fremden geantwortet, ihr Papa hätte ein tapferes Mädchen aus ihr gemacht. Seit dem Tod ihres Vaters war sie oft für einen Jungen gehalten worden. Sie selbst hatte diesen Eindruck absichtlich verstärkt. Um die Brüste flach zu drücken, umwickelte sie ihren Oberkörper mit vielen Stoffschichten. Aus diesem Grund trug sie auch die alten und viel zu großen Hemden ihres Vaters. Mit seiner Hose, die tief auf den Hüften hing, tarnte sie die deutlichen Kurven ihrer Taille. Das Haar trug sie zu dicken Indianerzöpfen geflochten und unter einem Männerhut, der ebenfalls viel zu groß war.
Für einen Jungen gehalten zu werden hatte sich als nützlich erwiesen, wenn Janna die wenigen Viehfarmen in der Umgebung besuchte, wo sie ihre Fähigkeiten im Lesen und Schreiben gegen Lebensmittel eintauschte oder wenn sie in der Stadt in den Laden ging, um Kleider oder ein kostbares Buch von Mad Jacks Gold zu kaufen. Als Junge besaß sie die Bewegungsfreiheit, die einem Mädchen verwehrt war. Sie liebte ihre Freiheit mit der gleichen Leidenschaft wie die wild geborenen Pferde und war immer froh gewesen, wenn man sie für einen Jungen gehalten hatte.
Jetzt ärgerte sie sich, dass dieser Fremde sie nicht als Frau erkannte. Ihr erster Gedanke war, ihm zu zeigen, dass sich unter den Männerkleidern ein weiblicher Körper verbarg. Was natürlich eine Dummheit war.
Sie schwankte in der Versuchung, es doch zu tun.
„Ihr Vater hat auch keine schlechte Arbeit geleistet“, sagte sie endlich. „Cascabel hat mehr Männer getötet, als Sie an Fingern und Zehen abzählen können.“
„Das mit den Zehen weiß ich nicht“, erwiderte Ty schief lächelnd. Er richtete sich auf, betrachtete den Verband um seine Zehen und warf Janna einen Blick zu.
„Es sind alle noch dran. Ein wenig zerkratzt, aber sonst in Ordnung. Nur das Laufen wird verflixt wehtun.“
Ty kreuzte die Beine wie ein Indianer und atmete leise durch die Zähne aus. „Solange muss ich nicht warten. Die Füße schmerzen bereits höllisch. “
Janna antwortete nicht. Ihr Mund war trocken. Als der Fremde sich aufsetzte und die Beine verschränkte, war die Decke heruntergerutscht. Jetzt sah sie seinen breiten, muskulösen Oberkörper mit der blutverkrusteten Vorderseite. Drahtiges schwarzes Haar umkräuselte die flachen Brustspitzen und verjüngte sich zu einem schmalen Strich
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