Wildnis: Thriller - Band 2 der Trilogie
andere Stimme von ganz vorne. „Leer.“
„ Weiter!“, kommandierte Ralph.
Als Jan an der Stelle vorbeikam, verlangsamte er. Die gleichmäßig geformten Wände und der glatte Boden des Sarkophags waren mit einer Eiskruste überzogen. Unwillkürlich stellte er sich vor, dass er in diese enge Kammer gelegt und ein Deckel über ihn geschoben würde.
Die Agenten hatten das Schloss an der Eingangstür bereits aufgebrochen. Drinnen war es noch finsterer, dafür etwas weniger kalt. Nur durch die Fenster der Vorderseite drang ein Abglanz des Mondlichts. Sie liefen durch eine kahle, hohe Halle zu einer Metalltreppe, die bis in den vierten Stock reichte.
Die Agenten sicherten die oberen Stockwerke. Sie öffneten die angrenzenden Türen und verteilten sich auf günstige Schusspositionen. Dann folgten Ralph, Anna, Jan und die Polizisten. Ihre Tritte hallten im Raum nach.
Jan dachte daran, wie der Mörder die Leichen zur Schau gestellt hatte: die Schlittschuhläuferin nackt auf dem See, die Gelegenheitsprostituierte im Abendkleid auf der Straße, die Tanzlehrerin an die Stange des Strip-Clubs gebunden und das Foto von Juanita als Mumie im Sarkophag. In welcher Inszenierung würden sie Juanita nun finden?
Vom vierten Stock führte eine enge Wendeltreppe weiter hinauf. Die Stufen waren schmal und steil, Jan griff sicherheitshalber zum Geländer. Plötzlich ertönten von oben Lärm und Schreie. Anna blieb vor ihm stehen, von hinten drängte ein Agent nach. Einen Augenblick lang lebte die Klaustrophobie des Strip-Clubs in Jan wieder auf, er wollte zurück und konnte nicht. Jemand zerrte an Anna, sie lief weiter, Jan hetzte ihr nach, der Agent hinter ihm packte ihn an den Schultern und schob ihn über einen Flur in einen beleuchteten Raum. Biergeruch schlug ihnen entgegen. Am Boden lagen Scherben vor einem umgestoßenen Tisch, auf einem Bett kniete Ralph, mit dem Rücken zu ihnen, halb unter ihm begraben ein Mann. Zwei Türen standen offen, in den dahinterliegenden Räumen brüllten sich Agenten Kommandos zu.
Dazwischen Ralphs aufgebrachte Stimme: „Was machst du hier? Warum wolltest du auf uns schießen?“
„ Ich bin Techniker, ich schaue hier nach dem Rechten. Ein Verrückter, vor einer halben Stunde hat mich ein Verrückter überfallen, mit einem Gewehr. Er hat mich gezwungen, ihn in die Mine runterzulassen.“
„ Wie sah er aus?“ Ralph richtete sich auf.
„ Wie ein Typ, der seinen Kumpel erschlagen hat, um ihm ein Riesennugget abzuknöpfen.“
„ Scheiß auf deine Westernprosa! Beschreib ihn!“
„ Ein bisschen älter als ich, über sechzig. Dunkle Haare, graue Schläfen, kantig, grob. Er hatte seine Maske hochgezogen.“
„ War er allein?“
„ Am Anfang ja, aber unten wartete ein Indianer mit zwei angeketteten Frauen. Die jüngere war erst Highschool-Alter, achtzehn oder so. Blondierte Haare, der Ansatz braun nachgewachsen. Eigentlich ein hübsches Ding, ziemlich sexy, wenn sie nicht so fertig ausgesehen hätte. Kein Wunder, sie hatte weder Maske noch Mütze, aber die Andere hat noch mehr gefroren, konnte einem Leid –“
„ Wie sah sie aus?“
„ Anfang zwanzig, schwarze Haare, aber grüne Augen, untypisch für Latinos.“
„ Sind sie in die Mine gefahren?“
„ Ja. Die beiden Typen kannten sich mit Atemgeräten und Fahrstuhl aus. Die brauchten mich nur wegen der Schlüssel, habe ich mir danach gedacht.“
„ Warum hast du nicht die Polizei verständigt?“
Der Techniker antwortete nicht sogleich. Ralph lehnte sich über sein Knie, das auf dem Rücken des Liegenden lastete. Ein Stöhnen.
„ Der Ältere hat mir gedroht, dass er sich Ruth und Debby holt, wenn ich ihn verrate, die Kinder meines Sohnes, sie sind erst –“
„ Hat er sonst noch etwas gesagt?“
„ Er hat einen Stollenpunkt erwähnt, R-28-C, da will er sich verloben.“
„ Wo liegt dieser Punkt?“
„ In einem Seitensystem, in einem Kilometer Tiefe.“
„ Wie viele Zugänge gibt es?“
„ Hier oben fünf, zur R-Ebene nur drei. Die Zugänge liegen ein bis vier Kilometer auseinander. Der Typ war verrückt, aber irgendwie auch clever. Einige Fahrzeuge sind betankt und er hat einen Schlüssel mitgenommen. Von R-28-C aus kann er in ein paar Minuten drei Ausgänge erreichen.“
„ Kannst du uns runterlassen?“, fragte Ralph.
Jan traute seinen Ohren nicht. War Ralph wahnsinnig geworden? Zumindest würde er nur mit den Agenten losziehen.
„ Ihr seid alle durchgeknallt!“, rief der Techniker. „Seid ihr wirklich
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