Wildnis: Thriller - Band 2 der Trilogie
gefällt das nicht, Ralph.“ Tom legte eine Hand auf den Arm seines Vorgesetzten. „Und ich glaube nicht, dass wir dafür eine Genehmigung erhalten.“
„ Wir dürfen die Zentrale von unserer Entscheidung nicht unterrichten. Der Mörder könnte etwas davon mitbekommen. Denkt daran, dass er sich eines der unveröffentlichten Modefotos von Anna beschafft hat. Zu denen hatten nur die Fotografin und das FBI Zugang. Wir fahren da runter, und nach 15 Minuten schlagen die zurückgebliebenen Polizisten Alarm.“
Tom murmelte einen Fluch, den Jan nicht genau verstand.
Ralph blickte zu Anna. „Du musst entscheiden, ob du hinunter willst, um den Dreckskerl zu jagen und die beiden Mädchen zu befreien.“
„ Ich komme mit“, sagte Anna. „Wir kriegen ihn und bringen ihn um.“
„ Wie soll eigentlich der Mörder mit Logann und den Mädchen zum Treffpunkt, wenn er doch nicht den Schlüssel zum alten Stollen hat?“, fragte Tom. „Oder meinst du –“
„ Lass uns die Taktik kurz besprechen.“ Ralph schob Tom einige Schritte zur Seite.
Anna fixierte Jan. „Du bleibst oben.“
Er durfte oben bleiben! Der Druck wich von seiner Brust, er atmete freier. Sie brauchten ihn nicht! Aber konnte er Anna mit den Agenten allein in die Mine fahren lassen? Er erinnerte sich an die Gewitternacht im Sommer, als er um sie gebangt hatte. Wollte er das noch einmal durchmachen? Er hatte sich versprochen, auf Anna aufzupassen, er durfte nicht kneifen.
„ Wie haben wir gesagt? Durch warm und kalt!“ Jan war von sich selbst überrascht, doch nun gab es kein Zurück. „Ich bin dabei.“
„ Bleib lieber oben. Das ist nichts für dich.“
„ Und für dich?“
Sie zuckte mit den Schultern.
„ Gestern hast du gesagt, du fühlst dich mit mir sicherer.“
„ Ich habe keine Angst. Ich will den Mörder bestrafen.“
Das war es: Der Jagdinstinkt hatte sie gepackt. Und Ralph auch! Er sprach das zwar nicht offen aus, aber sein fiebriger Umgang mit dem Techniker war nicht nur der gefährlichen Situation geschuldet. Ralph war ein Terrier, der Blut geleckt hatte und nun seiner Beute bis in den Bau hinein nachsetzte. Jan würde die beiden nicht abhalten können.
Er hätte viel dafür gegeben, statt der Maske Annas Gesicht zu sehen und mit ihr in Ruhe zu reden. Doch in Anbetracht des Zeitdrucks und der hektischen Stimmung blieb ihm nur die Wahl, sich der Gruppe anzuschließen oder zurückzubleiben.
Der Techniker führte sie zur Umkleide: zwei lange Bänke in der Mitte, an den Seiten Blechspinde und wuchtige Schränke mit Ausrüstung.
Ralph bestimmte, dass drei Polizisten den Zugang zum Lift schützen, den Techniker überwachen und nach 15 Minuten Hilfe anfordern würden. Eine kurze Diskussion entbrannte zwischen den Polizisten, wer zu dieser Wachtruppe gehören durfte.
Alle anderen legten die Kleidung bis auf die Unterwäsche ab und schlüpften so schnell es ging in die dünnen, orangefarbenen Overalls, über die sie wieder die schusssicheren Westen zogen. Mit zitternden Händen schnallten sie sich Gasflaschen auf den Rücken und setzten die Helme auf, ehe sie die Grubenhandschuhe überzogen und mit Klettverschlüssen an den Unterarmen festzurrten. Ein Stapel Decken machte die Runde und alle wickelten sich ein, so gut es ging.
Der Techniker klemmte jedem ein faustgroßes Messgerät an den Brustgurt, der die Gasflasche hielt. „Die piepen bei Explosionsgefahr. Bei giftigen Dämpfen vibrieren und blinken sie. Kann euch egal sein, zumindest die ersten 70 Minuten, bis euer Sauerstoff ausgeht. Schießen solltet ihr da unten möglichst vermeiden, selbst wenn sie nicht blinken. Allerdings ist wenig Methan in der Umgebung von R-28-C.“
Sie testeten die Sauerstoffversorgung und gingen zum Schacht. Wie Bergarbeiter auf dem Weg zur Schicht, nur die Pistolen, Gewehre und Patronenmagazine störten den Eindruck.
Vor einer gelb-schwarz gestrichenen Gittertür hielten sie. Jan fror erbärmlich. Der Techniker schloss auf und schob das Gitter ratternd zur Seite. Dahinter öffnete sich der Fahrstuhl wie ein schwarzes Maul.
Nachdem der Techniker ihnen die Funktionsweise der wenigen Hebel erklärt hatte, trat er zurück in den Gang und winkte fröhlich. Er durfte an der Oberfläche bleiben, und er wurde Ralph los. Der Fahrstuhl begann zu sinken. Für einen Moment sah Jan durch das Gitter die Beine der Zurückgebliebenen, dann nur noch buckeligen, schwarzen Fels. Manchmal Lichtreflexe von Kristallen, immer wieder Frässpuren, in unregelmäßigen
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