Wilhelm Busch
Dämmerung, und wer grad verreisen muß, der kann mit aufsitzen. (Das wäre was gewesen für Tante Malchen, die immer so gern per Gelegenheit fuhr!)
Der dort langsam und verdrießlich Holz sägt, das scheint der „Pariser“ zu sein. „Eine kalte Winternacht“ – so pflegt er auf plattdeutsch zu saen –, „ein Grenzstein im freien Feld und eine Pulle voll Schluck, das müßte einen bequemen Tod abgeben.“ Oder: „Hätt’ ich nur erst eine Viertelstunde gehängt, mich dünkt, so wollt’ ich gleich mit einem in die Wette hängen, der schon ein ganzes Jahr gehängt hat.“ Gegen die erste Manier schützt er Geldmangel vor, gegen die zweite den bedenklichen Anfang. Er zögert und zögert und muß sich zuletzt mit einem gewöhnlichen Tod begnügen, wie er grad vorkommt.
Hier im Hof, auf dem Steintritt vor der Tür, steht eine hübsche Frau, sagen wir, Kreuzbänder an den Schuhen, Locken an den Schläfen, Schildpattkamm im Flechtcnncst. Ein fremder Betteljunge kommt durch die Pforte. Haare wie trockner Strohlehm; Hemd und Haut aus einem Topf gemalt; Hose geräumig, vermutlich das Geschenk eines mildtätigen Großvaters; Bettelsack mit scheinbar knolligem Inhalt; Stock einfach, zweckentsprechend. „Heut kriegst du nichts; wir haben selbst Arme genug.“ – „So bra’r jöck de Düwel wat ower, dat je’r anne sticket!“ Nach Abgabe dieses Segenswunsches entfernt er sich, um sein Sammelwerk anderweitig fortzusetzen. Nicht mit Erfolg. Hinter der Mauer hervor, bewehrt mit kurzem Spieß, tritt ihm unerwartet ein kleiner Mann entgegen, entledigt ihn, listig lächelnd, doch rücksichtslos, seiner Vorräte und zeigt ihm sodann, unter Zuhilfenahme der umgekehrten Waffe, durch stoßweise Andeutungen auf der Kehrseite, den richtigen Weg zum Dorfe hinaus.
Dieser Wachsame und Gewaltige ist der „alte Danne“. – Da er körperlich und geistig zu schwach geworden, um Tagelöhner zu sein, so hat man ihm ein Amt verliehen, mit dem Titel „Bettelvogt“, und als Zeichen seiner Würde den Speer, „dat Beddelspeit“. Kraft dessen ist er Herzog und Schirmherr aller einheimischen Bettler. – Er ißt „reihrund“. Er schläft nachts im Pferdestall, nachmittags, bei günstiger Witterung, im Baumgarten unter dem Hause. – Und hier kann man am besten cine Eigentümlichkeit an ihm beobachten, welche hauptsächlich bei alten unbemittelten Leuten vorzukommen scheint, die versäumt haben, sich ein neues Gebiß zu kaufen. – Atmet er ein – ein lautes Schnarchen; atmet er aus — ein leises Flöten. Erst dieser alte, faltige, grauborstige Mümmelmund hübsch weit abgerundet nach innen gezogen, dann plötzlich bei hohlen Backen hübsch zugespitzt nach außen getrieben und nur ein ganz feines Löchlcin drin. –
Für den Naturforscher, selbst bei häufiger Wiederholung, ein interessantes Phänomen, – Leider geht der alte Danne nur noch kurze Zeit seinen Erholungen und Amtsgeschäften nach. Es kommt so ein gewisser schöner, aus der Maßen warmer Nachmittag. Zwei flachsköpfige Buben, sehr bewandert in Obstangelegenheiten, besuchen grad zufällig in einem schattigen Garten einen berühmten Sommerbirnenbaum, um eben mal nachzusehen, wie die Sachen da liegen. – Der alte Danne liegt drunter. – Speer im Arm; still, bleich, grad ausgestreckt; die Augen starr nach oben in die vollen Birnen gerichtet; Mund offen; zwei Fliegen kriechen aus und ein. Der alte Danne ist tot. – Und schlau hat er’s abgepaßt, denn der neue Kirchhof wird nächstens eingeweiht. Er kommt noch auf den alten und kann ruhig weiterliegen, ohne von später kommenden Schlafgästen gestört zu werden. – Eine geschmackvolle Garnitur von Brennesseln steht um sein Grab herum. –
Ja, mein guter, wohlsituierter und lebendiger Leser! So muß man überall bemerken, daß es Verdrießlichkeiten gibt in dieser Welt und daß überall gestorben wird. Du aber sei froh! Du stehst noch da, wie selbstverständlich, auf deiner angestammten Erde. Und wenn du dann dahinwandelst, umbraust von den ahnungsvollen Stürmen des Frühlings, und deine Seele schwillt mutig auf, als solltest du ewig leben, wenn dich der wonnige Sommer umblüht und die liebevollen Vöglein in allen Zweigen singen, wenn deine Hand im goldenen Sommer die wallenden Ähren streift, wenn zur hellglänzenden Winterzeit dein Fuß über blitzende Diamanten knistert – hoch über dir die segensreiche Sonne oder der unendliche Nachthimmel voll winkender Sterne – und doch, durch all die Herrlichkeit
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