Wenn es Nacht wird: Psychothriller (German Edition)
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Ich öffnete die Augen, und da war es wieder, dieses unbe stimmte, unbehagliche Gefühl. Das Schaukeln des Bootes kündigte die Ebbe an, und der Südwind blies flussaufwärts und erwischte die Revenge of the Tide von der Seite .
Ich blieb lange im Bett liegen und lauschte auf die Wellen, die neben meinem Kopf an den Schiffsrumpf schlugen, den Stahl durchdrangen und nur von der Holztäfelung gedämpft wurden. Es war warm unter meiner Decke und schön, dort auszuharren. Direkt über mir befand sich die rechteckige Dachluke. Sie gab den Blick auf Schwärze frei, die sich langsam in Dunkelblau und Grau verwandelte. Ich sah Wolken über mich hinwegjagen, die mir das seltsame Gefühl gaben, ich jagte mit dem Boot dahin – so als bewegte sich das Boot und nicht die Wolken. Dann verspürte ich wieder dieses Unbehagen.
Ich war weder see- noch »flusskrank«. Nach knapp fünf Monaten, die ich mittlerweile aus London weg war, hatte ich mich daran gewöhnt. Fünf Monate auf einem Hausboot. Trotzdem war ich immer noch ein wenig überrascht, wenn ich wieder festen Boden unter den Füßen hatte und den Weg zum Parkplatz nahm. Aber nach ein paar wackeligen Schritten hatte ich mein Gleichgewicht schnell wiedergefunden.
Der Tag war irgendwie grau – nicht gerade ideal für eine Party, doch daran war ich selbst schuld, weil ich sie für September geplant hatte. »Schulanfangswetter«: Der Wind pfiff über das Deck, als ich aufstand und den Kopf aus dem Steuer haus steckte.
Nein, es war nicht die Ebbe und auch nicht der Gedanke an die Leute, die später auf mein Boot kommen würden. Da war noch was anderes. Ich fühlte mich, als hätte mich jemand gegen den Strich gestreichelt.
Folgendes hatte ich heute noch vor: das letzte Stück Holzverkleidung im zweiten Raum befestigen, der irgendwann als Gästezimmer dienen sollte. Das Schreinerwerkzeug wegräumen und es vorne im Bug verstauen. Das Boot fegen, ein wenig aufräumen. Dann schauen, ob ich eine Mitfahrgelegenheit zum Supermarkt bekommen konnte, um dort Essen und Bier für die Party einzukaufen.
Ich hatte nur noch eine einzige Wand vor mir, doch die hatte eine seltsame Form, weshalb ich sie mir für den Schluss aufgehoben hatte. Der Raum war voller Sägemehlstaub und Holzreste, Abschlussleisten und Schmirgelpapier. Ich hatte in der Nacht zuvor Maß genommen, betrachtete stirnrunzelnd meinen Zettel und beschloss, zur Sicherheit noch einmal alles zu kontrollieren. Als ich die Kombüse verkleidet hatte, hatte ich viel Holz verschwendet, weil ich meine eigenen Messungen nicht mehr verstanden hatte.
Ich schaltete das Radio ein, obwohl ich es wegen der Tischkreissäge kaum hören konnte, und machte mich an die Arbeit.
Um neun legte ich eine Pause ein, ging in die Kombüse und kochte mir einen Kaffee. Ich füllte den Kessel und stellte ihn auf den Gasherd. Das Boot versank im Chaos. Doch das fiel mir nur ab und zu auf. Ich sah mich um, warf einen Blick auf die Schachteln des Take-away-Essens, die ich schnell in eine Plastiktüte geworfen hatte und die nun darauf warteten, entsorgt zu werden. Schmutzige Teller stapel ten sich im Spülbecken, Pfannen und andere Utensilien verpackt in Kartons auf Stühlen in der Essnische, die noch darauf warteten, eingeräumt zu werden – jetzt, wo ich endlich Schränke in die Kombüse eingebaut hatte. Dann stand da ein schwarzer Plastiksack mit Stoffen, die eines Tages zu Vorhängen und Kissenbezügen verarbeitet werden sollten. Das war alles nebensächlich, solange ich hier allein wohnte, doch in ein paar Stunden würde das Boot nur so wimmeln von Menschen, und ich hatte versprochen, die meisten Renovierungsarbeiten bis dahin so gut wie erledigt zu haben.
So gut wie erledigt? Nun ja, ein dehnbarer Begriff. Ich hatte das Schlafzimmer fertig, und auch das Wohnzimmer sah gar nicht mal so schlecht aus. Die Kombüse war auch fertig, musste aber noch aufgeräumt und geputzt werden. Das Badezimmer war – nun, funktionsfähig, aber das war auch das Netteste, was man darüber sagen konnte. Und was den Rest anging – den geräumigen Platz unter dem Bug, der eines Tages zu einem größeren Bad umfunktioniert werden sollte, mit einer Badewanne anstelle des Duschschlauchs, den großen Wintergarten mit einem Glasschiebedach (ein ehrgeiziger Plan, doch ich hatte so etwas in einer Zeitschrift gesehen und so toll gefunden, dass ich es unbedingt realisieren wollte) und vielleicht noch ein Extrazimmer oder ein Büro, ein Raum, der unglaublich gemütlich, ja
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