Wilhelm II
Schön abzubringen – »ein Hof- und Parkettmann der schlimmsten Sorte«. 47
Bei dem Versuch, seine angeschlagene Machtposition wiederherzustellen, griff Bülow zu zwei Mitteln. Das erste war eine Pressekampagne mit dem Ziel, den Einfluss von »unverantwortlichen« Elementen in der kaiserlichen Entourage zu neutralisieren, allen voran den seines einstigen Freundes Philipp Eulenburg, den er nunmehr für einen gefährlichen Intriganten und Rivalen hielt. Bülow versuchte schon seit langem, einen Keil zwischen den Kaiser und seinen geliebten Ratgeber zu treiben, und der Beginn der Amtszeit Bülows fiel mit einer dramatischen, wenn auch vorübergehenden Abnahme des Einflusses Eulenburgs und einem Rückgang seiner Treffen mit dem Kaiser zusammen. Als die Beziehung zwischen Wilhelm und Bülow aber immer gespannter wurde, trat Eulenburg wiederum auf den Plan, begleitete den Kaiser auf seinen Kreuzfahrten und wurde zum bevorzugten Gesprächspartner Wilhelms bei dessen Klagen über den Kanzler. Im Rückblick steht fest, dass Eulenburg keineswegs gegen Bülow intrigierte und dass er dem Kanzler persönlich loyal blieb, aber damals kursierten entsprechende Gerüchte. Zudem dürfte es Bülow kaum entgangen sein, dass sich Eulenburgs Nähe zum Thron umgekehrt proportional zu seiner eigenen verhielt.
Während der ersten großen Krise der Amtszeit Bülows im Herbst 1906 startete Maximilian Harden, der Herausgeber der kritischen Zeitschrift Die Zukunft, einen vernichtenden Angriff auf die heimliche »Kamarilla«, die den Kaiser hinter den Kulissen beriet und beeinflusste. Mit Informationen, die ihm Holstein, in früheren Jahren Bismarck und womöglich sogar Bülow zukommen ließen, machte sich Hardens Pressekampagne geschickt die homosexuelle Neigung Eulenburgs und anderer Mitglieder des Kreises um Wilhelm zunutze. Die darauffolgende Kette von Rufmordklagen enthüllte den Augen einer staunenden, bürgerlichen
Öffentlichkeit eine exotische Welt der hochfahrenden, aristokratischen, höfischen Verspieltheit, in der hohe Offiziere mit femininen Kosenamen bedacht und der Kaiser als »das Liebchen« bezeichnet wurde. Eulenburg sagte unter Eid aus, dass er sich in seinem Leben »nie strafbare Handlungen in Bezug auf den § 175 habe zu schulden kommen lassen«, aber das Kind war bereits in den Brunnen gefallen. 48 Der Eulenburg-Skandal weitete sich über eine wirksame Kombination aus Antiabsolutismus und Homophobie der Mittelschicht immer weiter aus. Harden teilte selbst keineswegs die Feindseligkeit vieler Leser gegen Homosexuelle, tatsächlich verteidigte er sogar eine Reihe prominenter Homosexueller, deren Privatleben publik gemacht worden war. Aber er machte sich das starke, emotionale Spannungsfeld zunutze, mit dem dieses Thema in den meisten Milieus der Mittelschicht behaftet war, um die Vorstellung eines »persönlichen Regiments« mit instinktiv negativen Assoziationen zu diffamieren. Aus dem Skandal erwuchs das Bild eines Kaisers, der von einem finsteren Kreis aus »Adoranten, die Pflicht, Ehre und Überzeugung hintanstellten, um weiter die Sonne allerhöchster Gnaden genießen zu können«, umgeben war und politisch manipuliert wurde. 49 Der Skandal schadete dem Ansehen des Monarchen und entzog ihm dauerhaft die Gesellschaft und den Rat seines alten Freundes. (Eulenberg zog sich auf sein Gut Liebenberg zurück und traf sich nie wieder mit dem Kaiser.)
Bülow mag wirklich den Berichten geglaubt haben, dass Eulenburg gegen ihn intrigiere, 50 aber er hat mit Sicherheit auch erkannt, dass eine öffentliche Kampagne gegen »unverantwortliche Elemente« und das »persönliche Regiment«, das mit ihnen verbunden wurde, letztlich seine eigene Stellung untermauern und seine Druckmittel gegen den Kaiser stärken würde, ohne dass es zu einer direkten Konfrontation kam – Bülow weigerte sich, Wilhelm persönlich über den Skandal auf dem Laufenden zu halten. Die Neuigkeiten mussten dem Kaiser spät am Tag vom Kronprinzen überbracht werden. Der Mann, der das Kanzleramt mit einer fast schon kriecherischen Dienstbarkeit
dem Kaiser gegenüber angetreten hatte, endete, indem er eine Kampagne von fast verräterischen Ausmaßen gegen ihn startete. 51
Die Pressekampagne und die Kette von Verleumdungsklagen, die sie auslöste, hatten die öffentliche Vernichtung Eulenburgs und einer Reihe anderer Persönlichkeiten zur Folge, die mit seinem Kreis assoziiert wurden, selbst eines Lieblingsadjutanten des Kaisers. Langfristig schadete sie sogar
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