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Wilhelm II

Wilhelm II

Titel: Wilhelm II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clark Christopher
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Die Weigerung des Kaisers, die Einbindung des Zentrums im Parlament zu tolerieren, kam für Bülow zu einem außerordentlich ungünstigen Zeitpunkt. Seit den Wahlen von 1903 hatte das Zentrum unter einer neuen Generation jüngerer und populistischerer Führer begonnen, selbstbewusster von dem Einfluss Gebrauch zu machen, den es als führende, nichtsozialdemokratische Partei im Reichstag genoss. 30 Als Bülow im Jahr 1905 das Thema der dringend erforderlichen Steuerreformen anschnitt, schloss sich das Zentrum den linken Parteien an und blockierte mit ihnen die Vorschläge des Kanzlers. Im Jahr 1906 führte das Zentrum auch die kritischen Stimmen an der Kolonialpolitik der Regierung und den damit verbundenen Ausgaben an, mit der Folge, dass mehrere Vorschläge für die Schaffung
einer größeren und unabhängigeren Kolonialverwaltung vom Reichstag abgelehnt wurden.
    Bei dem verschärften Tempo der kaiserlichen Einmischungen und dem Schaden, den Bülows Rückhalt im Parlament erlitten hatte, drohte die allgemeine Lähmung der letzten Jahre unter Hohenlohe zurückzukehren, als der vom Parlament missachtete und vom Kaiser nicht unterstützte Kanzler in einer Art Schwebezustand zwischen den beiden hing. Unter dieser Belastung brach Bülow am 5. April 1906 im Reichstag zusammen und zog sich zur Erholung den ganzen Sommer über in sein Ferienhaus auf der Insel Norderney zurück; dort blieb er bis Oktober. Aber Wilhelm ließ nicht locker, kritisierte weiterhin das Zentrum scharf, forderte strengere Maßnahmen gegen die SPD und bestand darauf, dass der ungeliebte Hohenlohe-Langenburg im Amt blieb. Im September 1906 hielt er Bülow offenbar bereits für verzichtbar und diskutierte ganz offen mit dem neuen Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten Tschirschky über einen möglichen Nachfolger. 31 Schon im August 1906 hatte er sogar Graf Monts, den deutschen Botschafter in Rom gefragt, ob er bereit sei, Bülow abzulösen (Monts lehnte ab, und Bülow kehrte schließlich nach Berlin zurück). 32 Diese Ereignisse veranschaulichen, wie leicht es dem Kaiser immer noch fiel, die Politik mit spontanen Interventionen zu erschüttern. Sie demonstrieren, wie irreführend es wäre, in Wilhelm einen »Schattenkaiser« zu sehen, der zwar förmliche und zeremonielle Autorität hatte, aber nicht über die nötigen Mittel verfügte, politische Macht auszuüben. In den Jahren 1905/06 war die Kontrolle der Krone über die Ernennung hoher Staatsdiener weiterhin ein wichtiger, wenn auch unberechenbarer und nur von Zeit zu Zeit akuter Faktor im deutschen Staatswesen.
    Andererseits ist es erstaunlich, wie wenig der Kaiser mit seinen Einmischungen letztlich offenbar bewirkte, selbst innerhalb der Sphäre der höheren Exekutive. Wilhelm hatte immer noch kein einheitliches, innenpolitisches Programm, einmal abgesehen von dem Wunsch, die Regierung von dem Einfluss des
Zentrums zu befreien und ihre Verbindungen zur nationalen »Mitte« wiederherzustellen, was er ohne Erfolg seit Beginn seiner Herrschaft anstrebte. Die Einberufung eines Kronrats hatte weitgehend Symbolcharakter; es folgten keine weiteren Schritte, und somit leitete die Sitzung keine Ära einer konsequenten Einmischung des Monarchen in die Regierungsgeschäfte ein. Vor allen Dingen war es eine Abwehrtaktik, ein Schuss vor den Bug für Bülow. Weil Wilhelm hartnäckig eine kompromisslos antisozialistische Linie forderte, verschärfte Bülow (zumindest in der Öffentlichkeit) den Ton, aber es wurde keine konzertierte Aktion gegen die Sozialdemokraten eingeleitet. Was den umstrittenen Hohenlohe-Langenburg betraf, so gelang es Bülow mit Lucanus‘Hilfe, ihn im August 1906 aus der Kolonialbehörde zu verabschieden. Wie sich herausstellte, war es kein Problem, den Monarchen zu überreden, als Hohenlohes Nachfolger Bernhard Dernburg zu akzeptieren, einen Bankdirektor jüdischer Abstammung mit linksliberalen Ansichten, der im Reichstag breiten Rückhalt hatte. 33
    Auch aus einer Auseinandersetzung um den preußischen Landwirtschaftsminister General Viktor von Podbielski ging Bülow als Sieger hervor. Im Sommer 1906 geriet Podbielski wegen seiner indirekten Beteiligung an einem Korruptionsskandal ins Visier der Pressekritik. Entschlossen, den Schaden für das Ansehen der Regierung in Grenzen zu halten, forderte Bülow nachdrücklich Podbielski auf zurückzutreten. Aber Podbielski weigerte sich und wurde darin von Wilhelm unterstützt, der den sachlich richtigen Standpunkt vertrat, dass

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