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Wilhelm II

Wilhelm II

Titel: Wilhelm II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clark Christopher
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Bülow selbst: Wilhelm war empört und peinlich berührt von den Enthüllungen. Dass der Kanzler ihn in einer so delikaten Angelegenheiten nicht auf dem Laufenden hielt, bestürzte ihn; schon bald hegte er den Verdacht, dass Bülow selbst seine Finger im Spiel hatte. Überdies geriet auch der Kanzler ins Visier der Presse, als sich die Stoßrichtung des Skandals ausweitete. Und Bülows Beteiligung an der Verschwörung gegen Eulenburg erwies sich auch in einer anderen Hinsicht als kontraproduktiv, weil damit die einzige einflussreiche Figur im Umfeld des Kaisers zerstört wurde, die Bülow konsequent in Schutz genommen hatte. 52
    Abgesehen von dem Einsatz der Presse gegen die kaiserliche Entourage und dem Anheizen der öffentlichen Kritik an der monarchischen Einmischung in Regierungsgeschäfte trachtete Bülow danach, seine Stellung zu festigen, indem er eine neuartige Beziehung zu der Reichstagsmehrheit knüpfte, die seit den Wahlen von 1907 nach ihm der »Bülow-Block« genannt wurde. Er hegte die Hoffnung, dass sich der Block mit seiner Kombination aus konservativen, liberalen, agrarischen und industriellen Interessen zu einer dauerhaften Kraft in der politischen Landschaft entwickeln würde. Dieser Gedanke gefiel auch Wilhelm, denn der Block weckte naheliegende Parallelen zu dem Kartell, das bei den letzten Wahlen unter Kanzler Bismarck entstanden war. Genau wie das Kartell entpuppte sich jedoch auch der Block als zerbrechlich – schon im Herbst 1907 waren die betreffenden Parteien über die Deregulierung der Börse und die Aufhebung der Reichsbeschränkungen für politische Vereinigungen in Streit geraten. Ernster war die tiefe Kluft wegen der Steuerpolitik. Die
Konservativen lehnten weiterhin jede Form von Besteuerung ab, die den Interessen der Grundbesitzer schaden würde, und favorisierten indirekte gegenüber direkten Steuern; die Liberalen hingegen lehnten indirekte Steuern mit der Begründung ab, dass man durch sie den größten Teil der Steuerlast der Masse der Bevölkerung aufbürden würde. 53
    Anfang Dezember 1907 hatte es den Anschein, als würde der Block unter dem Druck der inneren Gegensätze jeden Moment auseinanderbrechen. Auf einem Treffen mit den Parteivorsitzenden forderte Bülow nachdrücklich, die Meinungsverschiedenheiten untereinander zu begraben und eine einheitliche Front zu bilden. Andernfalls werde er zurücktreten, drohte er. Das hatte es noch nie gegeben. Dieser Schritt- noch dazu in aller Öffentlichkeit – implizierte, dass das Verbleiben des Kanzlers im Amt nicht nur vom Kaiser, sondern auch von den Parteien im Reichstag abhängig sei. Wie Katharine Lerman treffend beobachtet, brachte dieser Schritt wichtige, konstitutionelle Implikationen mit sich, denn er verlagerte das politische Gravitationszentrum von der Beziehung zwischen Monarch und Kanzler zu der Beziehung zwischen Kanzler und Parlament: »Der Kanzler hatte damit bestätigt, dass das Vertrauen des Kaisers allein nicht genügte, um seinen Verbleib im Amt zu rechtfertigen.« 54
    So interessant diese Entwicklung aus der Perspektive der Verfassungstheorie auch sein mochte, sie allein reichte nicht aus, um Bülows Stellung langfristig abzusichern. Bis zum Ende des Jahres 1908 hatte der Kaiser den letzten Rest von Vertrauen zu seinem Kanzler wegen der, in Wilhelms Augen, verräterischen Weigerung Bülows verloren, ihm in der »Daily Telegraph -Affäre« beizustehen – dem größten und schädlichsten Medienskandal unter Wilhelms Herrschaft. Die Affäre, die noch ausführlicher erörtert wird, wurde durch die Veröffentlichung eines Interviews mit Wilhelm im Daily Telegraph ausgelöst, in dem der Kaiser eine Reihe unüberlegter Äußerungen zur Außenpolitik und zu den englisch-deutschen Beziehungen abgegeben hatte. Während des anschließenden Sturms der Entrüstung in Deutschland
stellte sich Bülow nicht etwa schützend vor den Monarchen, sondern beschloss stattdessen, die herrschende negative Stimmung gegenüber dem Kaiser zu seinem eigenen Vorteil zu nutzen. Seit November 1908 war Bülows Verbleib im Amt folglich weitgehend von der wackligen Koalition der im Block vertretenen, parlamentarischen Kräfte abhängig, weil der Kanzler nicht länger das Vertrauen des Monarchen hatte. Aber ungeachtet einiger Mut machender Gesetzesvorlagen (zur Deregulierung und zu politischen Vereinigungen) waren die Parteien weiterhin in der Steuerfrage gespalten.
    Bülows Manöver in der Endphase seiner Amtszeit hatten den Kaiser in eine

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