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Wilhelm II

Wilhelm II

Titel: Wilhelm II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clark Christopher
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Unterstützung angewiesen, die es durch den Dreibund mit Österreich-Ungarn und Italien erhielt. Aber selbst hier bestand Anlass zur Sorge: Es war immer schon schwierig gewesen, italienische und österreichische Interessen bei den gemeinsamen Sicherheitsbestimmungen des Dreibundes miteinander in Einklang zu bringen, und das italienisch-französische Abkommen von 1902 über Tripolis und Marokko weckte ernstliche Zweifel an der Verlässlichkeit der italienischen Bündniszusage.
    Die deutsche politische Führung verfolgte diese unheilvollen Entwicklungen mit einer Sorglosigkeit, die aus heutiger Sicht erstaunlich wirkt. Bülow hatte nie das Gefühl, dass das russisch-französische Bündnis zum Ausgleich eine entsprechende Initiative in Richtung Großbritannien erfordere, weil er davon ausging, dass Deutschland wegen der Spannungen zwischen Großbritannien und den beiden Kontinentalmächten über genügend Handlungsspielraum verfügen würde und dass die Tür für eine deutsch-britische Annäherung – wenn nötig – ständig offen bliebe. Die italienisch-französische Einigung in Nordafrika registrierte er ähnlich gelassen: »In einer glücklichen Ehe«, teilte er dem Reichstag am 8. Januar 1902 mit, müsse »der Gatte auch nicht gleich einen roten Kopf kriegen, wenn seine Frau einmal
mit einem anderen eine unschuldige Extratour tanzt.« 53 Folglich lehnte Bülow auch ohne zu zögern ein Bündnisangebot des russischen Außenministers Wladimir Graf Lamsdorff im Jahr 1902 ab – ein Schritt, den er später bedauern sollte. Die englisch-französische Entente von 1904 war jedoch ein weit schwererer Schlag. In einem Brief an Bülow vom April 1904 vertraute Wilhelm ihm an: »Das jüngste englisch-französische Abkommen gibt mir doch nach mancher Richtung hin zu denken.« Die Tatsache, dass England und Frankreich nun keine Angst mehr voreinander haben müssen, bedeute nämlich, dass »England jede Rücksichtnahme auf uns mehr und mehr in den Hintergrund treten lassen wird«. 54
    Wie konnte sich das Deutsche Reich aus dieser misslichen Lage befreien? Zwei Optionen drängten sich auf. Die erste war ein Bündnis mit Russland, das den französisch-russischen Zweibund schwächen oder neutralisieren würde. Die zweite bestand darin, Mittel und Wege zu finden, um die neue Entente zwischen Großbritannien und Frankreich zu schwächen. Dank einer internationalen Krise in den Jahren 1904/05, die das europäische Bündnissystem erheblich belastete, bot sich die Gelegenheit, beide Optionen zu testen.
    Im Februar 1904 brach zwischen Russland und Japan ein Krieg um die Mandschurei aus. Wilhelm hatte bereits seit einiger Zeit – erfolglos – eine diplomatische Initiative in Richtung Russland gefordert und erkannte rasch, welche Vorteile Russlands Zwangslage ihnen verschafft hatte. In einem Brief an den Zaren vom Februar 1904 wies Wilhelm darauf hin, dass die Franzosen die Japaner mit Rohstoffen belieferten und sich somit kaum wie verlässliche Bündnispartner verhielten. 55 Im Juni teilte er Nikolaus mit, dass die britisch-französische Entente seiner Ansicht nach dem Zweck diene, »die Franzosen daran zu hindern, Dir zu Hilfe zu kommen«. In weiteren Briefen äußerte er voller Pathos sein Mitgefühl für das Missgeschick der russischen Armee und zeigte sich zuversichtlich, was künftige Erfolge anging. 56 Wilhelm bewilligte auch praktischere Hilfsmaßnahmen, nämlich dass die
russischen Schlachtschiffe auf ihrem Weg nach Osten an deutschen Stützpunkten Kohle bunkerten. Am 30. Oktober legte er dem Zaren einen von Bülow ausgearbeiteten Vertragsentwurf für ein Bündnis vor. Beide Mächte sollten sich verpflichten, im Falle eines Angriffs in Europa oder anderswo einander beizustehen. Nikolaus zog die Angelegenheit ernsthaft in Erwägung, war jedoch nicht bereit, ein förmliches Abkommen zu schließen, ohne sich mit dem französischen Bündnispartner zu beraten. Da undenkbar war, dass die Franzosen zustimmen würden, kam das einer Ablehnung des Angebots gleich.
    Im Sommer 1905 hatte sich jedoch die russische Lage drastisch verschlechtert: Port Arthur war im Januar gefallen, die russische Mandschurei-Armee hatte im März gegen die japanischen Streitkräfte bei Mukden eine schwere Niederlage erlitten, und die Ostseeflotte war im Mai im Japanischen Meer vernichtend geschlagen worden. Die politischen und wirtschaftlichen Unruhen, die seit Kriegsausbruch im ganzen Land geschwelt hatten, führten im Januar zu einer Revolution und flackerten

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