Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)
Lösung des Streits mit Serbien im Wege standen. Aber trotz all dieser Bemühungen beklagte sich Kaiser Franz Joseph in einer Order an Berchtold vom 16. Mai 1914: »Trotzdem scheint man sich in Berlin von dem Gedanken einer politischen Annäherung Österreich-Ungarns und Serbiens […] noch nicht frei gemacht zu haben.« In dieser Hinsicht werde Wilhelm als besonderer Problemfall angesehen, beobachtete der Kaiser, da aus seinen aktuellen Äußerungen zum Thema hervorgehe, dass er keinerlei Fortschritte bei der Korrektur seiner falschen Auffassung von der serbischen Frage gemacht habe. Die Note schloss mit der Anweisung, Ausschnitte aus der chauvinistischen, serbischen Presse nach Berlin zu schicken und dem Kaiser vorzulegen, damit er sich ein Bild von der unnachgiebigen, anti-habsburgischen Stimmung der serbischen, politischen Kreise machen konnte. 54 Die österreichischen Bemühungen hatten jedoch wenig Erfolg: Noch am 1. Juli 1914, also drei Tage nach dem Attentat von Sarajevo, drängte der ungarische Regierungschef István Tisza Kaiser Franz Joseph, einen geplanten (aber später abgesagten) Besuch Wilhelms in Wien »allergnädigst benützen zu wollen, um die Eingenommenheit dieses hohen Herrn für Serbien an der Hand der letzten Ereignisse zu bekämpfen und ihn zur tatkräftigen Unterstützung unserer Balkanpolitik zu bewegen«. 55
Folglich wäre es falsch, die öffentlichen Beteuerungen Wilhelms seiner friedlichen Absichten – die bekannteste in seiner Jubiläumsansprache vor den Reichstagsabgeordneten am 16. Juni 1913 – einfach als »scheinheilige« Tarnung für eine grundsätzlich kriegerische Diplomatie zu verwerfen. Wilhelm schlug auch bei weniger öffentlichen Anlässen die gleiche Saite an. Zu Admiral Müller sagte er etwa, er wünsche, dass seine Herrschaft eine Zeit der Konsolidierung sei, nicht der Expansion. 56 In einem Gespräch mit dem badischen Gesandten Graf Siegmund Berckheim am 11. März 1914 stellte Wilhelm fest, dass größte Zurückhaltung und Vorsicht die allgemeinen Grundsätze der deutschen Politik sein müssen, und versprach, dass er, der Kaiser, ganz gleich in welcher Situation niemals einen Präventivkrieg führen werde. Am Abend desselben Tages bestätigte Baron Max von Lyncker, der Chef des Militärkabinetts, voller Bedauern, dass der Kaiser weiterhin von den militärischen Argumenten für das Ergreifen des gegenwärtig günstigen Augenblicks, den »unvermeidbaren« Konflikt zu beginnen, unbeeindruckt geblieben sei. 57 Im selben Monat beobachtete Gevers, der niederländische Gesandte in Berlin, dass der Kaiser »viel zu häufig mit der Welt der Finanzen und Industrie in Kontakt stehe«, um die »wahrhaft katastrophalen Konsequenzen eines europäischen Konflikts« auf die leichte Schulter zu nehmen. Unlängst habe er einen »völlig pazifistischen Standpunkt« in seinen Gesprächen mit dem italienischen Botschafter vertreten. 58 Somit ist es auch kein Wunder, dass der deutsche Botschafter in Wien am 16. März 1914, als Conrad von Hötzendorf die Möglichkeit eines frühen Krieges gegen Russland ihm gegenüber zur Sprache brachte, dagegen einwandte: Zwei wichtige Personen seien dagegen: »Ihr Erzherzog Franz« Ferdinand und »mein Kaiser«. 59
Juli 1914
Die Nachricht von dem Mord in Sarajevo am 28. Juni 1914 erreichte Wilhelm an Bord der königlichen Jacht Hohenzollern. Nach Rücksprache mit seinen Beratern stimmte er zu, dass die Jacht unverzüglich nach Berlin zurückkehren solle, damit er die Sache selbst in die Hand nehmen und den Frieden in Europa bewahren könne. 60 Am 2. Juli übermittelte ein Bericht des deutschen Botschafters in Wien vom 30. Juni die österreichische Anschauung, dass das Attentat in Belgrad geplant worden sei, und teilte die Beobachtung mit, dass in Wien »auch bei ernsten Leuten« die Ansicht vorherrsche, dass »einmal gründlich mit den Serben abgerechnet werden« müsse. Den Serben müsse man zunächst »eine Reihe von Forderungen stellen und falls sie diese nicht akzeptieren, energisch vorgehen«. Tschirschky fügte hinzu: »Ich benutze jeden solchen Anlass, um ruhig, aber sehr nachdrücklich und ernst vor übereilten Schritten zu warnen.« In seinen Randnotizen auf diesem Dokument sprach sich Wilhelm für die Auffassung aus, dass eine Abrechnung mit den Serben bitter nötig sei, und fügte die Worte hinzu: »jetzt oder nie«. Gegen Tschirschkys Bemühungen, Wien von einem energischen Durchgreifen abzuhalten, protestierte er scharf: »Tschirschky
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