Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)
Flottenchefs ganz auf U-Bootoperationen im Atlantik und im Ärmelkanal. Somit füllte der Kaiser – zumindest für den Moment – das Entscheidungspotenzial seines Amtes ganz aus, indem er die Fürsprecher eines verschärften U-Bootkrieges in die Schranken wies. Sein Standpunkt war zum Teil auf geostrategische Überlegungen zurückzuführen – insbesondere mit Blick auf die unkalkulierbaren Konsequenzen eines amerikanischen Kriegseintritts -, schwere moralische Bedenken spielten aber ebenfalls eine Rolle. Er vertrat die Anschauung, »dass die großen Passagierschiffe voller Frauen und Kinder zu torpedieren, eine barbarische Rohheit ohne Gleichen ist, womit wir den Hass und die giftige Wuth der ganzen Welt gegen uns aufbringen«. 36
Somit spielte Wilhelm eine maßgebliche Rolle bei der Unterstützung der gemäßigten Elemente innerhalb der Entscheidungsträger gegen die Forderungen der Falken. Warum billigte er dann im Januar 1917 den uneingeschränkten U-Bootkrieg? Die öffentliche Meinung war hier sicher ein maßgeblicher Faktor. In der zweiten Hälfte des Jahres 1916 fand der U-Bootkrieg immer breitere Unterstützung, und die Anhänger meldeten sich immer lautstärker zu Wort, insbesondere nachdem die Skagerrak-Schlacht Ende Mai die britische Blockade nicht beendet hatte. Mittlerweile forderten nicht nur Fürsprecher von Annexionen einen uneingeschränkten U-Bootkrieg, die bereits 1915 in der Kampagne den Ton angegeben hatten, sondern Vertreter aus dem ganzen Parteienspektrum im Reichstag. Der U-Bootkrieg übte auf eine deutsche Öffentlichkeit, deren Feindseligkeit sich zunehmend auf Großbritannien als dem Grundpfeiler der gegnerischen Koalition konzentrierte, eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus. 37 Das U-Boot wurde, wie Roger Chickering schreibt, zu »einem Allheilmittel, der Wunderwaffe, deren bedingungsloser Einsatz versprach, den Krieg zu beenden und die Briten in die Knie zu zwingen«. 38 Das herrschende Stimmungsklima allein reichte natürlich nicht aus, um Wilhelm zum uneingeschränkten U-Bootkrieg zu bekehren, auch wenn es zweifellos einen gewissen Einfluss auf ihn hatte. Aber es schwächte die Position des Kanzlers und trug so dazu bei, innerhalb der Exekutive die Waagschale zugunsten der U-Bootanhänger zu senken. Im Sommer und Herbst 1916 sickerte die U-Bootbegeisterung wie ein starkes Lösungsmittel in die parlamentarische Basis des Kanzlers ein. Die Konservativen und Nationalliberalen sagten sich los und bildeten einen »U-Boot-Block«; im Oktober 1916 stellte sich selbst das einst loyale Zentrum offen gegen die Linie des Kanzlers zum U-Booteinsatz und forderte, dass die Entscheidungsvollmacht in die Hände von Hindenburg und Ludendorff gelegt werde. Deren Unterstützung für den U-Bootkrieg war allgemein bekannt. Diese Entwicklungen untergruben das Selbstvertrauen des Kanzlers und dessen persönliche Stellung in den heftigen Debatten innerhalb der Exekutive, von denen alles abhing.
Im Dezember 1916 hatte Bethmann Hollweg die Möglichkeiten, Frieden mit den Gegnern Deutschlands zu schließen, sondiert und war gescheitert. Dieser Umstand war ein weiterer wichtiger Faktor bei Wilhelms Entscheidung, einen uneingeschränkten U-Bootkrieg zu akzeptieren. Die Friedensnote vom 12. Dezember war das Ergebnis eines heftigen Ringens um den Wortlaut zwischen dem Kanzler und der Obersten Heeresleitung. Dabei kam ein charakteristisch ambivalent formuliertes Kommuniqué heraus, das mit einer Ankündigung begann, dass Deutschland bereit sei, über Frieden zu sprechen, aber mit der Warnung schloss, es werde bis zum Sieg weiterkämpfen, falls keine Gespräche statt fänden. Wilhelm stellte sich voll hinter Bethmanns Initiative, nicht nur aus »Eigennutz« wie Lamar Cecil andeutet, 39 sondern weil er wirklich kriegsmüde war (angeblich war er während eines Treffens mit einer Reichstagsdelegation bei der Erwähnung des Wortes »Frieden« in Tränen ausgebrochen) 40 und weil das Schaffen eines Friedens auch mit seiner sakralen Auffassung von der Aufgabe des Souveräns übereinstimmte: Frieden zu schaffen, sagte er einmal zu Bethmann Hollweg, sei ein moralischer Akt, der sich für einen Monarchen zieme, der eine Seele habe und sich Gott verantwortlich fühle, der ein Herz für sein Volk und das der Feinde habe. 41 Letztlich scheiterte die Friedensinitiative vom 12. Dezember. Fünf Tage später beobachtete Admiral Müller, dass Wilhelms Hochstimmung in Folge der Meldung von deutschen Siegen gegen Rumänien
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