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Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)

Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)

Titel: Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Clark
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österreichisch-deutschen Druck allmählich zusammenbrach.
    Mit anderen Worten: Wenn Deutschland nicht den uneingeschränkten U-Bootkrieg gegen die Handelsschifffahrt begonnen hätte und die Vereinigten Staaten nicht in den Krieg eingetreten wären, dann wäre eine deutsche Niederlage gegen die Alliierten vermutlich in weite Ferne gerückt. Im Rückblick bestand Deutschlands beste Chance darin, »einfach die Lähmung des [alliierten] Schiffsverkehrs, die Finanzen und den militärischen Kollaps an mehreren Fronten abzuwarten«. 44 Allem Anschein nach hat Wilhelm selbst einmal mit dieser Möglichkeit geliebäugelt. Bei einem Besuch in Wien Ende November 1916 sagte er voraus: »Revolution in Moskau und St. Petersburg, völliger Munitionsmangel in Russland […] In England desgleichen Hungersnot und Frankreich bald beim letzten Mann.« 45 Wilhelms Gesprächspartner nahmen diesen Ausbruch mit matter Skepsis zur Kenntnis, aber als Vision für eine »virtuelle Zukunft« war er längst nicht so unplausibel, wie sie annahmen.

Der Sturz Bethmann Hollwegs
     
    Im Herbst und Winter 1916/17 höhlten zwei Entwicklungen Wilhelms Stellung innerhalb der Exekutive weiter aus. Als Erstes wurde die Macht, die das Militär über den zivilen Arm der Regierung ausübte, drastisch ausgeweitet. In einer ganzen Reihe von Auseinandersetzungen mit den Generälen sah sich Bethmann Hollweg gezwungen, in wichtigen Fragen zum künftigen Status des russischen Teils von Polen nachzugeben und die anmaßende Entlassung mehrerer Minister und hoher Berater zu akzeptieren (Jagow, Helfferich, Hammann). Anfang 1917 schließlich beschlossen Hindenburg und Ludendorff, dass der Kanzler selbst gehen müsse – ungeachtet des Anteils Bethmanns beim Sturz Falkenhayns und der Ernennung Hindenburgs zum Obersten Befehlshaber sowie seines Einlenkens in der U-Bootfrage.
    Parallel zu diesen Entwicklungen innerhalb der Exekutive drohte wegen der zunehmend labilen innenpolitischen Lage ein Sturz der Regierung von unten. Auf den Kriegsausbruch war eine vorübergehende Phase der »nationalen Einheit« gefolgt, in der die Reichstagsfraktionen einwilligten, sich bei Fragen zurückzuhalten, welche die Bevölkerung spalteten. Aber schon im Sommer 1915 war dieser »Burgfrieden« von beiden Polen des politischen Spektrums in Frage gestellt worden. Auf der Linken verstieß eine radikale Fraktion innerhalb der Sozialdemokratischen Partei gegen die Parteidisziplin und verunglimpfte den Krieg. Im Reichstag stimmte sie gegen weitere Kriegskredite. Im Jahr 1915 forderte die SPD verstärkt soziale und politische Belohnungen für die Arbeiterklasse, die in den Schützengräben die Kämpfe weiterführte. Kernthemen der linken Propaganda waren die Ablehnung eines »Eroberungskrieges« und die Forderung einer Wahlrechtsreform. Im rechten Spektrum meldete sich ein einflussreiches, ultranationalistisches Netzwerk mit mächtigen Schirmherren in Heer, Marine und Regierung zu Wort, die umfangreiche, deutsche Annexionen als unerlässliche Bedingung für einen Frieden forderten und sich innenpolitischen Reformen widersetzten.
    Im Lauf des Jahres 1916 war es, wie gesagt, der Rechten vorübergehend gelungen, eine breite parlamentarische Unterstützung der Kampagne für den U-Bootkrieg zu mobilisieren. Ab dem beginnenden Frühjahr 1917 lag die politische Initiative jedoch mehr und mehr bei der Linken. Lebensmittelknappheit und Meldungen von der Februarrevolution in Russland ließen in den deutschen Industriestädten eine überaus explosive Stimmung aufkommen, und die gemäßigte Linke und die Mitte forderten allmählich vereint innenpolitische Reformen, insbesondere die Abschaffung des antiquierten und diskriminierenden Dreiklassenwahlrechts in Preußen. Um die Ruhe wiederherzustellen, drängte Bethmann Hollweg den Kaiser, in einer »Osterbotschaft« zu versprechen, dass auf das Ende der Feindseligkeiten eine Wahlrechtsreform folgen werde. Wilhelm hatte – wenn auch widerwillig – seit Anfang 1915 die Notwendigkeit einer Demokratisierung akzeptiert und war bereit, sich zu fügen. 46 Aber das vage formulierte Versprechen erhitzte nur noch mehr die Gemüter. In den folgenden Wochen kam es zu den ersten größeren Streiks seit Kriegsbeginn, und der Reichstag erneuerte seine Anstrengungen, die politische Kontrolle über die deutschen Kriegsbemühungen zu erlangen. Viele Abgeordnete bestanden nunmehr auf einer sofortigen Wahlrechtsreform. Ab dem Frühsommer widmete man sich intensiv der Diskussion um

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