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Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)

Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)

Titel: Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Clark
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eine »Friedensresolution«, die der prominente Zentrumsdelegierte Matthias Erzberger eingebracht hatte. Sie rief zu einem Verhandlungsfrieden ohne erzwungene Annexionen auf.
    Wilhelm und Bethmann Hollweg sahen sich in beiden Fragen in einem offenen Konflikt mit der militärischen Führung, allerdings gab die Wahlrechtsfrage letztlich den Anlass für die Absetzung des Kanzlers. Als Hindenburg und Ludendorff Anfang Juli 1917 hörten, dass Bethmann Hollweg Wilhelm zur Ankündigung einer sofortigen Wahlrechtsreform drängte, reisten die beiden Kommandeure nach Berlin und verlangten die Entlassung des Kanzlers. Aber Wilhelm blieb standhaft und Bethmann Hollweg im Amt. Der Kanzler stand inzwischen nicht nur unter dem Druck der Heeresleitung, sondern auch unter dem der Reichstagsabgeordneten. Eine Mehrheit der Abgeordneten war unzufrieden mit den so schleppend verlaufenden Verhandlungen hinsichtlich einer Wahlrechtsreform. Man hatte die Geduld mit dem Kanzler verloren und forderte nun seine Entlassung. Der schlaue Ludendorff versuchte sogar, Bethmann Hollweg zu diskreditieren, indem er gegenüber einer Reihe wichtiger Fraktionschefs durchblicken ließ, dass er persönlich keine Einwände gegen eine Wahlrechtsreform habe, sondern der Kanzler das Haupthindernis sei. 47 Am 10. Juli gelang es Bethmann Hollweg schließlich, den Kaiser von seinem Standpunkt zu überzeugen. Zwei Tage danach wurde bekannt gegeben, dass der nächste preußische Landtag nach einem neuen, demokratischen Wahlrecht gewählt würde. Einen Tag später reichten Hindenburg und Ludendorff, in einem weiteren Akt der Insubordination – einem Mittel, zu dem das deutsche Oberkommando mittlerweile immer häufiger griff – telefonisch ihren Abschied in Berlin ein und erklärten, dass sie mit dem Kanzler nicht länger zusammenarbeiten könnten. Wilhelm schäumte vor Wut, weil er auf diese Weise erpresst wurde und erklärte gegenüber dem Chef des Marinekabinetts: »Dieses Verhalten preußischer Generale sei das Unerhörteste, was je in der Geschichte Preußens passiert [sei].« Er versicherte Bethmann Hollweg, dass er nicht nachgeben werde, aber er sehe sich in einer »Zwangslage«; mit ihrem Abschiedsgesuch hätten die beiden Befehlshaber »ihm die Pistole auf die Brust gesetzt«. 48 Auch der Kanzler befand sich in einer heiklen Lage: Da die Militärführung unversöhnlich gegen ihn Widerstand leistete und er im Reichstag keine sichere Plattform mehr hatte, war er allein auf die Unterstützung des Kaisers angewiesen, dessen Rückhalt unter dem Druck allmählich ins Wanken geriet. Erschöpft von dem Ringen mit den Titanen und darauf bedacht, Wilhelm weitere qualvolle Entscheidungen zu ersparen, trat Bethmann Hollweg selbst zurück.
    Der Rücktritt vom 13. Juli markierte eine grundlegende Zäsur in der Geschichte von Wilhelms Herrschaft. Der Kaiser war sich dessen nur allzu sehr bewusst: »Da kann ich ja gleich abdizieren«, sagte er zu Bethmann. 49 Kaum etwas illustriert besser den dramatischen Einbruch des letzten Restes von Wilhelms Autorität als die Person des neuen Kanzlers. Die ersten fünf Kanzler seiner Herrschaft waren allesamt dem Kaiser persönlich bekannt gewesen, bevor sie unter ihm gedient hatten: Hohenlohe war sein »Onkel«, Bülow gehörte dem Kreis um Eulenburg an, in der Gesellschaft von Bethmann Hollwegs Vater hatte Wilhelm seinen ersten Hirsch geschossen. Im Gegensatz dazu war der neue Amtsinhaber Georg Michaelis Wilhelm fast völlig fremd, wenn auch nicht seiner Frau, die ihn über kirchliche Verbindungen kennen gelernt hatte und bereit war, sich in dieser Hinsicht für ihn einzusetzen. Michaelis war für seine effiziente Verwaltungsarbeit bekannt – er war für die Organisation der zivilen und militärischen Lebensmittelversorgung zuständig -, aber er war gewiss keine prominente Persönlichkeit, und ganz bestimmt war er nicht Wilhelms erste Wahl für den Posten. Das galt auch für Graf Georg von Hertling, der Michaelis in der Reichskanzlei ablöste, als letzterer im Oktober 1917 im Reichstag in Ungnade fiel. Das Kanzleramt – jenes zentrale Amt in der deutschen Reichsverfassung – lag nicht länger in den Händen des Kaisers. Wilhelm war immer noch, gelegentlich, imstande, sich gegen die »furchtbaren Zwillinge« zu behaupten, wie im Januar 1918, als er sich Ludendorffs Plänen widersetzte, Polen ins Reich einzugliedern, und die darauffolgende Rücktrittsdrohung beiseite wischte. 50 Doch das Gespann rächte sich schon bald, indem es

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